Es wird mal wieder Zeit für einen Blick auf das „große Ganze“. Wie stehen die Aktienmärkte derzeit da, was tut sich bei den Indikatoren im Hintergrund, wie sehen einige wichtige Rahmenbedingungen aus? Ein Rundumschlag für den Herbst 2024.
In erster Linie ist es der Trend, der für einen Anleger entscheidend ist. Ihm zu folgen ist immer weit aussichtsreicher, als sich gegen ihn zu stellen. Denn dass ein Trend endlich ist, mag zwar sein. Aber bis es soweit ist, kann man an ihm verdienen. Doch es schadet nie, immer mal wieder abzuklopfen, wie solide das Fundament eines solchen Trends ist. Denn auch, wenn man nie vorher weiß, wann genau er endet: Sind Risse im Sockel, wird dieses Ende eben deutlich wahrscheinlicher. Sehen wir uns mal einiges dazu an:
Der Trend ist weiterhin voll intakt … aber er zeigt Ermüdungsrisse
Rein aus charttechnischer Sicht passt an der Börse aktuell noch alles. Die Aufwärtstrends der großen Indizes sind intakt, wie wir es hier beispielhaft beim marktbreiten US-Index S&P 500 sehen. Kein Wunder, immerhin schlossen viele dieser Indizes am Freitag auf Rekordhoch. Und grundsätzlich wäre da noch Luft nach oben, auch, wenn die ebenfalls am Freitag absolvierte und Aufwärtstrends oft intensivierende Abrechnung am Terminmarkt jetzt als Zugpferd ausfällt. Die obere Begrenzung des Anfang 2020 etablierten Trendkanals des Index würde am Jahresende bei 6.250 Punkten liegen. Zwar fällt die negative Divergenz des RSI-Indikators auf, der im Gegensatz zum Index selbst zuletzt keine neuen Hochs mehr erreichte. Aber das ist „nur“ ein Warnsignal, ein zeitnaher Abwärtsschwenk wäre deswegen nicht zwingend.
Was hingegen auffällt ist, dass bestimmte Bereiche und Branchen nicht mehr mitlaufen. Das äußert sich am US-Markt dahingehend, dass zum einen der Nasdaq 100 zuletzt noch keine neuen Hochs erreichte, ausgerechnet der Index also, der sonst dauernd Vorreiter ist. Zum anderen darin, dass der Dow Jones ebenso wie der den Gesamtmarkt gut abbildende NYSE Composite in Bezug auf die gesamte, bisherige 2024er-Performance hinter dem Nasdaq 100 und dem von den dort auch gelisteten Tech-Werten mitgezogenen S&P 500 her hinken. So etwas kommt im Zuge einer Branchenrotation zwar schon mal vor. Im Auge behalten sollte man es aber trotzdem, vor allem in Bezug auf unseren Markt.
Denn was DAX & Co. angeht, ist die Sache deutlich extremer. Der vorstehende Chart zeigt, dass die DAX-Hausse ein Alleinflug ist: MDAX, SDAX und TecDAX weisen für das laufende Jahr nahezu keine Gewinne auf. Was nicht unbedingt wundert, immerhin kann von Wachstum in Deutschland insgesamt keine Rede sein. Da zudem die Zahl der DAX-Aktien, die besser gelaufen sind als der Index, deutlich kleiner ist als die Hälfte, ist auch die Marktbreite nicht gut: Da hätten wir einen dieser Risse im Fundament, auf die man achten muss.
In den USA passt das aber bislang noch. Wenn wir uns hier die Zahl neuer 52-Wochen-Hochs an der New York Stock Exchange (NYSE) ansehen und das mit dem in grün abgebildeten NYSE Composite Index vergleichen, sehen wir zwar, dass die Zahl neuer Hochs am Freitag deutlich niedriger lag als im September, obwohl der Index seither weiter gestiegen ist, aber:
Diese neuen Hochs beziehen sich auf die Schlusskurse des Freitags. Um da von der Liste zu fliegen reicht es daher ja, nur eine Winzigkeit tiefer zu schließen als am Vortag. Daher ist wichtiger, dass die Zahl der Hochs insgesamt höher liegt als üblich. Kritisch würde es aber, wenn diese neuen Hochs auf hohem Niveau hektisch zu schwanken beginnen wie 2007, das würde eine zunehmende Gier in Verbindung mit Planlosigkeit der Trader indizieren … und das würde dann wirklich unmittelbare Gefahr bedeuten. Apropos Gier: Wie steht es mit der Stimmung?
Gute Stimmung ist bullisch. Zu gute Stimmung aber nicht.
Die Stimmung am US-Markt, wo sie recht tauglich (trotz seiner potenziellen Fehlerquellen) vom sogenannten „Fear & Greed“-Index gemessen wird, war zuletzt von Gier geprägt. Nicht schlimm, solange es nicht ausartet. Doch genau das scheint gerade der Fall zu sein, vor ein paar Tagen und erneut am Freitag erreichte der Indikator erstmals seit März wieder die Zone extremer Gier (extreme Greed) Diesen von CNN Business publizierten Index finden Sie unter diesem Link: https://edition.cnn.com/markets/fear-and-greed
Das Problem dabei ist: Dort, wo die Stimmung unbedingt genauso gut sein muss, um diesen Überschwang der Anleger zu unterfüttern, ist sie es nicht. So weist das US-Verbrauchervertrauen nicht aufwärts, sondern ist seit 2019 in einem Abwärtstrend unterwegs, wie der folgende Chart zeigt:
Und eigentlich ist eine gute Verbraucherstimmung für eine stabile Hausse zwingend. Gut gelaunte, optimistische Verbraucher stärken den Konsum als tragende Säule des Wachstums und unterstützen dadurch steigende Unternehmensgewinne als Grundlage für eine Hausse. Steigen die Kurse ohne eine solche Stütze, wird die Sache fragil. Und immerhin haben die Gewinne der im S&P 500 gelisteten 500 US-Unternehmen die bisherigen Rekorde des Jahres 2021 noch nicht überboten … der Index selbst aber sehr wohl. Was sich auch in einem untypisch hohen Kurs/Gewinn-Verhältnis niederschlägt, hier in der folgenden Grafik das des Dow Jones:
Das durchschnittliche Kurs/Gewinn-Verhältnis der 30 im Dow Jones enthaltenen Unternehmen liegt momentan bei 26,37 und damit für eine Phase außerhalb von verzerrenden Effekten so hoch wie nur sehr selten. Verzerrungen ergeben sich, wenn die Unternehmensgewinne durch eine Rezession oder Sonderfaktoren wie Corona plötzlich fallen, schneller und weiter, als die Kurse hinterher rutschen können. Da entstehen dann für kurze Zeitspannen ungewöhnlich hohe Kurs/Gewinn-Verhältnisse. Eine solche, die hohe Bewertung begründende Situation haben wir derzeit aber nicht. Und besonders auffällig ist, dass das auch den Profi-Tradern klar ist, die momentan auffallend zurückhaltend damit sind, auf Kredit zu traden. Das sehen wir hier:
Erreicht der US-Aktienmarkt ein neues Rekordhoch, sieht man das gleiche in der Regel auch beim Volumen der Kredite, mit denen Profi-Trader die Sicherheitsleistungen für Derivate-Trades wie CFDs oder Futures finanzieren. Doch während der US-Markt das Ende 2021 markierte Hoch längst weit überboten hat, bleiben diese Margin-Kredite auffallend unter deren letztem Hoch zurück. Die Profis sind also deutlich zurückhaltender mit Trading auf Kredit, als sie es sein müssten, wenn sie diese Hausse für grundsolide halten würden. Ein weiteres Warnsignal.
China: Achten Sie auf diese Basis der Bullen-Hoffnungen!
Ganz entscheidend aber dürfte der Faktor China sein. Die vor allem durch einen massiv ins Wanken geratenen, zuvor blasenartig gewachsenen chinesischen Immobilienmarkt entstandene schwache Nachfrage in China ist für Unternehmen in den USA und Europa gleichermaßen ein Problem, denn vor allem in China sitzt die Basis weiteren Wachstums. Mit dem umfassenden Paket verschiedenster Maßnahmen zur Belebung des Wachstums wollen Chinas Regierung sowie die Notenbank mit der Brechstange wieder Schwung in die Konjunktur bringen. Das sorgte an den chinesischen Aktienmärkten für massive Käufe, die auch DAX, Dow Jones & Co. kräftig mit nach oben zogen, weil man unterstellt, dass die Unternehmen im „Westen“ dann automatisch ein großes Stück vom wieder wachsenden Kuchen abbekommen.
Was man bislang aber ignorierte war, was Sie im vorstehenden Chart sehen: Weil diese Maßnahmen hektisch und wild gestreut wirken, zugleich aber auch für den „Mann auf der Straße“ direkt nichts bringen, haben in China Zweifel eingesetzt, ob diese Stimuli wirklich erreichen, was man in Peking erwartet. Die wichtigen Indizes in China wie der hier gezeigte Shanghai Composite Index haben bereits die Hälfte der Hausse wieder verloren und sitzen jetzt auf entscheidenden Supportlinien, das gilt für den Shanghai Composite ebenso wie für den Hang Seng China Enterprises Index. Achten Sie auf diese Indizes, achten Sie auf diese Unterstützungslinien. Wenn die fallen, kann es leicht sein, dass es genau dieser weitere Riss ist, der das Fundament der Hausse entscheidend schwächt.
Fazit: Insgesamt steht das Barometer auf „potenziell stürmisch“
Dass man im Vorfeld der jetzt nur noch gut zwei Wochen entfernt liegenden US-Wahl so tut, als wäre das bestenfalls mäßig von Bedeutung, unterstreicht zusätzlich, wie erheblich die Gier und der Leichtsinn aktuell die Lage dominieren. Auch, wenn die Charts noch passen, das „Drumherum“ passt immer weniger. Niemand könnte ernsthaft vorhersagen wollen, wo diese Hausse ihr Hoch finden wird. Aber gerade weil man so etwas erst im Nachhinein weiß, wenn einem Hoch kein neues folgte, aus einem Rücksetzer eine Korrektur wurde und die zur Überraschung der Mehrheit auf einmal nicht mehr enden will, ist es angebracht, jetzt sehr aufmerksam zu agieren!
Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!
Ihr
Ronald Gehrt
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