Der Dow Jones Transportation Average wurde zeitgleich mit dem Dow Jones Industrial Average, dem heutigen Index-Flaggschiff, von Charles Dow und Edward Jones kreiert. Medial steht der Transport-Index im Schatten seines „großen Bruders“ – aber zu Unrecht. Denn er ist ein sehr wertvolles Tool wenn es darum geht, Risiken für den Gesamtmarkt einzuordnen.
Ah, es geht um diese „Dow-Theorie“, wird manch einer jetzt denken. Nein, auch, wenn der Dow Jones Transportation Average, den ich im Folgenden kurz „Dow Transportation“ nenne, da eine Rolle spielt:
Mit dieser uralten, sechs Thesen umfassenden Theorie des Index-Entwicklers Charles Dow gehe ich nicht so recht konform, weil da einige Aspekte eingebunden sind, die ich als unrichtig ansehe, z.B. die Unterstellung, dass alle Anleger alles wissen und daher auch alle Informationen in den Kursen enthalten sind. Die Realität ist eine andere: Anleger könnten alles wissen, ignorieren aber das, was ihnen nicht in den Kram passt, so dass diejenige Sichtweise, die mehr Geld in den Ring wirft, den Trend dominiert, dieser aber somit nicht mit der Faktenlage konform gehen muss.
Wobei genau dieser Aspekt einen Bogen zurück zum Dow Transportation schlägt. Denn das, was ihn aus meiner Sicht so wichtig und als Analyse-Tool wertvoll macht, ist: Er kann Signale aussenden, die die Masse zwar lange, aber eher nicht auf Dauer ignorieren kann, so dass ich ihn in den Rang eines „Frühwarnsystems“ erheben würde.
Der Dow Jones Transportation Average ist … was genau?
Dieser 1884 entwickelte Index repräsentiert seit jeher alles, was im Bereich des Aktienmarkts die Logistik umfasst. Heute sind das 20 Aktien aus den Branchen Airlines, Bahngesellschaften, Frachtschifffahrt, Paket- und Mitfahrdienste. Anfangs waren es elf Aktien, davon neun Eisenbahngesellschaften, ein Schifffahrtunternehmen und die damals wegen des Telegraphendienstes als „Nachrichtentransport-Unternehmen“ anzusehende Western Union.
Heute sind folgende Aktien mit von der Partie: Fünf Airlines (Alaska Air, American Airlines, Delta Airlines, Southwest Airlines und United Airlines), zwei Lieferdienste (FedEx und UPS), vier Frachtunternehmen (Expeditors International, Ryder, J.B. Hunt und Landstar System), der Mitfahrdienst Uber, der Autovermieter AVIS, die Lkw-Spediteure C.H. Robinson und Old Dominion Freight Line. Dazu die Schifffahrt-Logistiker Matson Inc. und Kirby Corporation und drei Eisenbahngesellschaften (Norfolk Southern, Union Pacific und CSX).
Kurz: Dieser Index enthält alles, was mit Fracht- und Personentransport zu tun hat. Wieso ist das für die Beurteilung der Lage des Gesamtmarkts von Belang?
Der Transportation-Index muss laufen, sonst stimmt was nicht
Weil dieser Index dadurch ein sehr gutes Spiegelbild der wirtschaftlichen Lage ist. Einzelne Branchen können gut oder schlecht laufen, von den Anlegern favorisiert, ignoriert oder verkauft werden und dadurch einen steigenden oder fallenden Gesamtmarkt auslösen, denken wir da z.B. aktuell an den „KI-Hype“. Aber wenn der Trend am Gesamtmarkt stabil sein soll, ist das nur möglich, wenn die konjunkturelle Lage und Perspektive der gesamten Volkswirtschaft dazu passt. Eine Baisse am Aktienmarkt bei solidem Wirtschaftswachstum hat ebenso keine lange Lebenserwartung wie eine Hausse ohne ein begleitendes, robustes Wachstum. Und genau da setzt die Betrachtung des Dow Transportation an:
Ein robustes Wirtschaftswachstum geht mit mehr Frachtverkehr, mehr Konsum und damit mehr Paketverkehr und einer verstärkten Reisebereitschaft der Verbraucher einher. Das bedeutet: Wenn das Wachstum der USA wirklich solide ist, muss es genau diesen 20 Unternehmen mehrheitlich gut gehen. Ihre Umsätze und Gewinne müssten im Aufwärtstrend sein und der entsprechende Index ebenso. Ist das der Fall, hat man für eine Hausse des Dow Jones bzw. des US-Aktienmarkts insgesamt eine gute Basis. Ist das aber nicht so, sollte man äußerst vorsichtig werden. Und das ist nicht nur in der reinen Theorie richtig. Der Dow Transportation hat in dieser Hinsicht schon oft gute Prognosequalität gezeigt, wie die folgenden Beispiele zeigen sollen:
Beispiele für den Dow Transportation als „Gefahrenindikator“
Dass es sich dabei vor allem um Warnsignale für Abwärtswenden des Gesamtmarkts handelt und der Dow Transportation als Vorbote einer Aufwärtswende eher nicht taugt, hat einen nachvollziehbaren Hintergrund:
Das Vorwegnehmen einer positiven Entwicklung ist mit großem Abstand beliebter als dunkle Wolken am Horizont in eigene Aktivität umzusetzen. Wachstum ist nun einmal positiv, das will man haben, da greift man gerne vor … und bleibt dann auch entsprechend lange geduldig dabei, wenn sich Hoffnungen nicht sofort bewahrheiten. Daher gab es beispielsweise 2003 bei der Wende nach der Baisse noch ein neues Tief im Transport-Index, während der Dow Jones ein über dem vorherigen liegendes Zwischentief ausbildete, wie wir im folgenden Chart sehen:
Aber was Abwärtswenden angeht, hat er sich auffallend oft als Warnsignal bewährt, gerade weil nicht nur die Logik, dass der Logistik- und Beförderungssektor laufen muss, wenn das Wachstum etwas taugen soll, sondern auch die Psychologie diese Funktion stützt. Denn hier, in diesen für Trader nicht so wirklich inspirierenden Branchen, zeigt sich eher die Realität als in den „spannenden“ Hightech-Aktien, die eben auch dann noch wild gekauft werden, wenn die Lage das gar nicht mehr hergeben würde. Einfach, weil man vor allem dann, wenn einem Gier und Leichtsinn die Hand führen, Gefahren nicht erkennen will oder sogar nicht erkennen kann.
Die vorstehende Grafik zeigt, wie der Dow Transportation bereits weit vor dem „Dot.Com-Crash“ des Jahres 2000 nach unten abdrehte. Die Gier trieb die Tech-Werte derweil immer höher und höher. Aber wer sah, dass der Transport-Index bereits 1999 in die Baisse überging, war dahingehend gewarnt, dass man in Sachen Dauer-Hausse auf dünnstem Eis unterwegs war.
Ebenso als hilfreich erwies sich der Dow Transportation vor dem Platzen der Subprime-Blase 2008. Der Transportindex zeigte klar, was man eigentlich hätte erkennen können, aber mehrheitlich nicht sehen wollte: Natürlich hatte der einbrechende Immobilienmarkt massiv negative Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft. Dass der Dow Transportation schon im Sommer 2007 deutlich zurückfiel, war ein klares Warnsignal. Trotzdem markierte der Dow Jones im Oktober noch ein neues Hoch. Diejenigen, die da noch kauften, hätten sich besser vorher den Dow Transportation angeschaut.
Das gleiche Spiel beim Corona-Crash 2020. Es war absehbar, dass hier große Probleme entstehen würden, die Weltwirtschaft nahezu zum Stillstand kommen könnte. Der Dow Transportation reagierte umgehend, als sich das klarer abzeichnete. Aber während der ein unter dem vorherigen Hoch liegendes Zwischenhoch ausbildete, erreichte der Dow Jones noch ein neues Allzeithoch. Diese Divergenz hätte man besser ernst genommen. Und wie sieht es heute aus?
Wie sieht es aktuell aus?
Auch aktuell haben wir eine solche Divergenz, auf mittelfristiger ebenso wie auf kurzfristiger Ebene. Der US-Arbeitsmarkt kommt trotz hoher Zinsen scheinbar stark daher, die Wachstumsdaten der Regierung sind hervorragend. Aber es fällt … wenn man hinsehen will … auf, dass viele Transportunternehmen derzeit gar nicht glücklich sind. Da stimmt also irgendetwas nicht, denn wäre die US-Wirtschaft in einer Verfassung, die eine Dauer-Hausse von einem Rekordhoch zum nächsten unterfüttern würde, müssten die Transportunternehmen bester Stimmung sein und der Dow Transportation laufen wie geschnitten Brot. Das tut er aber nicht.
Der Dow Jones, aber auch die meisten anderen großen US-Indizes, markiert seit Herbst 2023 ein neues Rekordhoch nach dem anderen. Der Dow Transportation aber nicht, da liegt das bisherige Rekordhoch fast drei Jahre zurück! Trotzdem peitschte der Transportindex den Gesamtmarkt immer wieder voran, seine Rallyes waren der Beleg, dass im Transport-Sektor Leben drin ist. Aber seit Anfang 2024 passt etwas nicht. Der Dow Transportation müht sich an der Börse aktuell im Sägezahn-System voran, läuft unter dem Strich seitwärts, die Bilanzen der meisten Index-Unternehmen sind nicht überzeugend. Sehen wir uns das nochmal in „Nahaufnahme“, nur für den bisherigen Jahresverlauf, an:
Wir sehen hier, dass der Dow zwar ein Outperformer war, aber im Juli und August noch auf die Abwärts-Rucks des Dow Transportation reagierte. Aber seit einem Monat sieht das anders aus: Der Dow Transportation sackt immer wieder weg, beim Dow Jones gibt es dazu aber keine Reaktion mehr. Das ist kein Beweis, aber ein Indiz dafür, dass man es wieder einmal auf die Spitze treibt. Wann das zu einem „bösen Ende“ führt, kann eine solche Divergenz des Dow Transportation zum Gesamtmarkt nicht vorhersagen. Aber dass das Risiko jetzt größer wird, das kann man hier erkennen … und entsprechend Vorsicht walten lassen!
Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!
Ihr
Ronald Gehrt
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