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„Sell in May and go away“, das kennt fast jeder Anleger. Dass diesen Spruch umzusetzen nur bedingt eine gute Idee ist, haben wir an dieser Stelle schon einige Male dargelegt. Aber was ist mit dem zweiten Teil dieser Regel, die da lautet: „… but remember to come back in September“? Das würde ja jetzt anstehen – schauen wir mal, ob und wie sich das in den letzten Jahren gerechnet hätte.
Ein paar Aspekte sollten wir im Schnelldurchlauf vorab erwähnen, bevor wir uns mal ansehen, wie ein „Comeback im September“ denn im Schnitt für die Investoren gelaufen wäre. Zunächst einmal ist wichtig:
Diese Idee des „sell in May“ ist uralt und hatte früher einen Grund mehr, um funktionieren zu können: Ab Juni begann die Urlaubssaison und dauerte bis Anfang September. Wer damals im Urlaub war, war in der Zeit vor dem Internet von Informationen und Handelsmöglichkeiten fast völlig abgeschnitten, deshalb verkauften viele Anleger einen Teil ihrer Aktien, um im Fall von Abwärtsbewegungen weniger exponiert zu sein. Seit man problemlos zu jeder Zeit von jedem Ort aus traden kann, ist dieser Aspekt vom Tisch. Ein anderer jedoch nicht:
Der Spruch an sich hat immer noch einen tauglichen Hintergrund
Es gibt durchaus eine Art Zyklus aus Hoffen und Bangen im Jahresverlauf. Dadurch, dass man die Zeit in fixe Abschnitte in Form von Jahren teilt, bedeutet jedes neu beginnende Geschäftsjahr eine Art inneren Neuanfang. Was auch für die Volkswirtschaften an sich gilt. „Nächstes Jahr wird es wieder besser“ oder ggf. „noch besser“, hört man nicht nur oft, man verinnerlicht dieses Denken in Jahresschritten auch. Nicht umsonst sterben die Vorsätze zum Neuen Jahr einfach nicht aus, obschon man eigentlich wissen sollte: Nur, weil die letzte Ziffer in der Jahreszahl eine andere ist, mache ich noch lange nicht mehr Sport. Und das macht diesen Spruch in seiner Gesamtheit wiederum sehr interessant, wobei, das abschließend:
Niemand hat bislang klar festgelegt, ob man bei „sell in May“ und bei „come back in September“ am Anfang, in der Mitte oder am Ende des Monats verkaufen bzw. wieder einsteigen sollte. Was den Ausstieg im Mai angeht, ist der beste Moment auch wirklich nicht fixierbar. Beim September indes schon: Das Ende des Monats wäre da die weit klügere Wahl, denn wie zuletzt an dieser Stelle vor drei Wochen dargelegt, ist der September im Schnitt der schwächste aller Handelsmonate.
Der Jahreszyklus im Kopf und sein Effekt auf den Aktienmarkt
Diese Neigung, einem neuen Jahr die Chance auf ein „jetzt wird alles besser“ zuzuschreiben, ist überall zu finden. „Was wird das neue Jahr bringen“ ist eine Frage, die einem medial jedes Mal um die Ohren gehauen wird, so dass man selbst dazu neigt, in dieses Muster zu verfallen … obwohl man eigentlich genau weiß, dass die Welt keine „Runden zählt“, sich nichts ändert, nur, weil Neujahr ist. Aber wozu führt das?
Es führt dazu, dass man irgendwann gegen Jahresende beginnt, das „alte Jahr abzuhaken“. Zum Beispiel könnte man sich in Sachen 2023 sagen: Gut, die Inflation ist doch noch nicht besiegt, Zinssenkungen gibt es doch keine, die Wirtschaft stagniert, das haben wir uns eigentlich alles anders vorgestellt … aber! 2024 kommt, was 2023 nicht kam. Da gehen dann die Zinsen runter, die Wirtschaft wird durchstarten. Solche Hoffnungen beginnen, im Herbst zu keimen … und das ist es, was dieser Regel „come back in September“ die Chance bietet, zu funktionieren. Und das kann laufen, bis …
… bis einem dann im neuen Jahr nach und nach dämmert, dass die großen Erwartungen, mit denen man es behangen hat wie einen Christbaum, auch diesmal von einer weniger rosigen Realität eingeholt werden. So geschehen in diesem Jahr. Zwar wäre man, wenn man im Mai ausgestiegen wäre, keiner großen Baisse entgangen. Aber in Sachen Kursgewinne verpasst hätte man, das zeigen die Charts, in Bezug auf den Gesamtmarkt auch nichts.

Dabei von Oktober bis Mai … wie rechnet sich das?
Da sich das alles reimt, muss ich diesen Spruch „dabei von Oktober bis Mai“ selbst noch in den Ring werfen. Das soll ja dann die Phase sein, in der man als Anleger investiert sein sollte. In der Zeit zwischen dem Aufkeimen großer Erwartungen an das nächste Jahr bis zu der Phase, in welcher diese in sich zusammenfallen. Wie wäre das gelaufen?
Grundsätzlich gut. Wenn man die Statistik des DAX betrachtet, zurückgerechnet bis 1959 inklusive seiner Vorgänger-Indizes, liegen alle Monate mit einer im Durchschnitt negativen Performance in der „sell in may“-Periode. Der Mai ist über diese 64 Jahre in etwa neutral, aber Juni, August und September sind Monate mit im Schnitt negativem Vorzeichen, nur der Juli ist langfristig ein positiver Monat. Alle Monate sonst, von Oktober bis April inklusive, weisen im Durchschnitt ein Plus auf. Die Macht der Hoffnung kann also durchaus etwas bewegen.
Wenn man für den DAX mal die Jahre 2000 bis 2022 hernimmt, das also über 23 Jahre betrachtet, und sich die Performance von Anfang Oktober bis Anfang Mai ansieht, so kommt man auf 14 Jahre, in denen man mit dieser Vorgehensweise Geld verdient hätte. Bei vier Jahren ging sich das in etwa null auf null aus, in fünf Jahren hätte man damit Verlust gemacht. Das klingt gut genug, um sich zu sagen: „Dann also nichts wie ran an den Speck, wenn diese letzte Septemberwoche über die Bühne ist“. Aber so leicht sollte man es sich besser nicht machen, denn:

Und was ist mit dem „Crashmonat“ Oktober?
Auch, wenn die Monate Oktober bis April inklusive im langjährigen Mittel positiv sind, heiß das nicht, dass da nicht ein paar ganz üble Monate dabei sein könnten. Wer sich erinnert: 2018 beispielsweise war das vierte Quartal fatal, die Aufwärtswende kam erst an Weihnachten. Zwar wäre man beim DAX im Fall eines Einstiegs Anfang Oktober 2018 und einem Verkauf Anfang Mai 2019 trotzdem immerhin in etwa null auf null herausgekommen. Aber man muss ja nicht, nur, weil es so schön einfach ist, Abwärtsbewegungen mitmachen in der Hoffnung, dass die positive Statistik der „come back in September“-Regel das insgesamt schon ausgleichen bzw. überkompensieren wird.
Dabei ist es nicht sinnvoll, einfach den Oktober auszuklammern und erst Anfang November zu kaufen, nur, weil man ihm den Spitznamen “Crashmonat“ verpasst hat. Ja, die Crashs 1929, 1987 und auch 2008 fielen in den Oktober. Auch 1989 (Russland-Krise) und 1997 (Asien-Krise) rasselten die Kurse im Oktober heftig abwärts. Aber das verteilt sich eben über eine sehr lange Zeitspanne.
Die Mehrzahl der Oktober-Monate waren gute, weshalb die Durchschnitts-Performance des DAX ab 1959 für diesen Monat auch bei immerhin +0,72 Prozent liegt. Wobei, zugegeben, die anderen Monate von November bis April einschließlich außer dem trüben Februar (im Schnitt nur +0,2 Prozent) besser sind, am besten liegen da der November mit +1,43 und der März mit +1,57 Prozent. Aber Vorsicht!
Mit Abwägen und dem Blick auf die Charts fährt man besser!
Je mehr Jahre in eine Statistik einfließen, desto valider wird sie, zugleich werden aber Ausreißer durch die große Zahl an Jahren „glattgebügelt“. Und auch, wenn man in den vergangenen 64 Jahren unter dem Strich mit „sell in May, but remember to come back in September“ Gewinn erzielt hätte: Wer will denn auf diese Weise investieren? Zumal man, wenn es dumm läuft, dann ausgerechnet in einer Phase damit beginnen würde, wo es so oft schiefgeht, dass man lange Jahre bräuchte, um die Verluste der Anfangsphase dieser „Strategie“ wieder reinzuholen.
Hätte man beispielsweise im Oktober 2017 begonnen so vorzugehen, wäre man 2017/2018 ebenso wie 2018/2019 auf der Stelle getreten. 2019/2020 hätte man Verlust gemacht, 2020/2021 Gewinn, 2021/2022 wieder einen Verlust, 2022/2023 einen Gewinn. Nicht gerade grandios. Und warum lief es ausgerechnet zuletzt nicht ideal?

Weil wir im März 2020 den Selloff wegen Corona und 2022 wegen des Ukraine-Konflikts hatten. Und das führt zu einer anderen Erkenntnis: Die Jahre, in denen das „come back in September“ eher nicht funktionierte, waren genau die Jahre, in denen die Aktienmärkte ohnehin wankten oder im Abwärtstrend waren. Konkret waren die drei Jahre, in denen das ab 2000 bis 2016 schief ging, die Jahre 2000/2001, 2007/2008 und 2008/2009. Sie sehen: Das waren genau die ohnehin miesen Börsenjahre. Und viele der Jahre, in denen die Phase Oktober bis April gut war, waren auch außerhalb dieser Zeit, also in der „sell in may“-Phase, gut gelaufen.
Börse aktuell: Mit Abwägen und dem Blick auf die Charts fährt man besser!
Statistiken sind interessant, geben Denkanstöße und lassen einen (hoffentlich) dadurch öfter genauer hinsehen. Aber sie sind kein Autopilot, weil sie die Ausnahmen glätten, die Extremfälle in der großen Masse der Daten verschwinden lassen.
Will man nicht dummerweise in einem solche Extremfall landen, täte man besser daran, die Daten beiseite zu legen und selbst zu überlegen, ob der Herbst 2023 einer sein könnte, in dem das Gros der Anleger mit großen Hoffnungen auf 2024 schon mal vorkaufen könnte bzw. das Geld dafür da und verfügbar wäre. Und man wäre gut beraten, anhand der Charts zu prüfen, ob es, wenn man bei diesem Abwägen zu einem „Ja“ käme, auch wirklich so kommt, sprich ob DAX & Co. mit bullischen Signalen aufwarten. Dann dem Trend zu folgen, ergäbe Sinn. Sich blind auf eine Performance-Melange aus vielen Jahrzehnten zu verlassen, nicht. Denn alleine einer Statistik wegen wird die Hausse im Oktober 2023 auf jeden Fall nicht zurückkehren.
Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!
Ihr
Ronald Gehrt
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