Kein Indikator, kein charttechnisches Signal, keine Sentiment-Indikation kommt ohne Fehlsignale aus. Das liegt in der Natur der Börse, schließlich können unerwartete Ereignisse jederzeit alles auf den Kopf stellen … und keine Indikation kann wahrsagen. Aber es gibt einige Indikatoren, die sich zuverlässiger zeigen als andere. Der RSI-Indikator gehört zu dieser relativ überschaubaren Gruppe. Und an der Börse aktuell würde ich ihn engmaschig im Auge behalten.
Seit etwa siebzig Jahren existieren markttechnische Indikatoren. Kaum war die Charttechnik geboren, begannen die ersten Trader, das, was die Kurse tun, durch mathematische Formeln abzuleiten und grafisch umzusetzen, damit man über die damals ebenfalls noch in den Kinderschuhen steckende Charttechnik hinaus vielleicht doch eine Chance hätte, ein klein wenig in die Zukunft zu schauen.
Rein von der Logik her ein unsinniger Gedanke, denn dass etwas, was war, aufzeigt, was kommt, haut an der Börse eben nicht hin. Ja, es gibt immer wieder ähnliche Muster, aber ganz gleich sind das Hier und Heute und egal welche Phase in der Vergangenheit eben nie. Aber zweimal um die Ecke gedacht wird in gewissen Fällen dann doch noch ein Schuh daraus, denn:
Indikatoren gibt es viele … aber nur die, die auch beachtet werden, können funktionieren
Gerade weil den meisten aktiv agierenden Marktteilnehmern bewusst ist, dass man das, was kommt, schlichtweg nie sicher vorhersagen kann, suchen und nutzen sie „Krücken“, mit denen sie glauben, den Weg des Unbekannten ein wenig sicherer gehen zu können. Und darin liegt die Chance dafür, dass ein Indikator Signale abliefert, die funktionieren:
Wenn genug Akteure einem entstandenen Signal folgen, wird aus einer rein mathematischen Ableitung des Kursbildes so etwas wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Und da gehört der RSI zu den führenden Indikatoren, einfach deswegen, weil sehr viele ihn nutzen und er auch Teil der Tool-Box von so manchem Handelsprogramm ist.
Indikatoren kann sich jeder selbst zusammen basteln, keine Frage, aber eigentlich kann man sich diese Zeit sparen. Ich selbst habe jahrelang an komplexen Handelssystemen gearbeitet, um am Ende zu erkennen: „keep it simple, stupid“ ist immer der bessere Weg. Danach wanderten all die scheinbar genialen und am Ende dann doch nutzlosen Indikatoren aus dem Eigenbau in den Papierkorb, weil ein Indikator eben wegen dieses vorgenannten Aspekts nur dann funktioniert, wenn genug Anleger ihn beachten und seinen Signalen folgen. Und das sind die Standard-Werkzeuge wie MACD, Stochastik-Oszillator, gleitende Durchschnitte oder eben der RSI. Der was genau sein soll?
RSI, Barometer der inneren Stärke
Der RSI misst nicht, wie man das vom Namen her vermuten würde, wie relativ stark oder schwach sich ein Kurs im Verhältnis zu anderen Kursen darstellt, z.B. ob eine Aktie im Vergleich zu dem Index, in dem sie notiert ist, besser oder schlechter läuft. Das ließe sich ja leicht messen, indem man die Kursverläufe neben- oder übereinander hält. Nein, der RSI misst die „innere“ Stärke eines Kurses. Oder anders formuliert: Er misst, ob eine Kursbewegung überzogen ist und wenn ja, ab welchem Punkt die Wahrscheinlichkeit steigt, dass sich eine Übertreibung umkehrt. Die Berechnung des von Welles Wilder geschaffenen RSI-Indikators funktioniert folgendermaßen:
Der Indikator berechnet den durchschnittlichen Kurs eines Kursverlaufs zunächst für diejenigen Tage eines bestimmten Zeitraums (i.d.R. 14 Tage), an denen der Wert gestiegen ist. Für den Berechnungszeitraum sollten Sie immer den Standardwert von 14 Handelstagen nutzen, denn verändern Sie den Zeitraster, erhalten Sie Signale, die außer Ihnen niemand sieht … und dann wird der Indikator nutzlos, weil niemand den nur für Sie sichtbaren Signalen folgen könnte.
Diesem Durchschnittskurs der Tage mit einem Kursanstieg wird dann der Durchschnitt der Schlusskurse gegenübergestellt, an denen der Wert in den letzten 14 Handelstagen im Minus geschlossen hatte, indem man ihn durch den Durchschnitt der Aufwärts-Schlusskurse dividiert. Das bildet die Relative Stärke. Zum Relative Stärke Index (RSI) wird dieser Wert, indem man ihn indiziert: RSI = 100 – (100 ./. (1+RS)).
Heraus kommt ein Indikator, der in einer Skala zwischen 0 und 100 schwanken kann. Werte über 70 bedeuten ein überkauftes Niveau, Werte unter 30 ein überverkauftes Niveau. Das sind die beiden Extremzonen, aus denen heraus Signale generiert werden, die eine Trendwende im Kurs indizieren.
Der RSI wird von der Logik unterstützt
Dass egal welcher Indikator niemals immer richtig liegt, basiert darauf, dass Gier und Angst immer stärker sind als der Verstand. Das gilt für alle Lebenslagen, aber wenn es um Geld geht, ganz besonders … vor allem, wenn man mit hohen Hebeln spekuliert. Hinzu kommt, dass solche Indikatoren wie der RSI zwar vielen bekannt sind, ebenso wie die Chart- und die Sentimentechnik mit ihren Tools. Aber eben keineswegs allen. Diejenigen, denen es an jeglichem Basiswissen in Sachen Börse fehlt, die aber in wachsender Zahl trotzdem kräftig Aktien kaufen, können ein noch so augenfälliges und dramatisches Signal alleine deswegen egalisieren, weil sie es gar nicht sehen.
Dass der RSI, wie im vorstehenden Chart zu sehen, im Frühjahr 2024 auf Wochenbasis ein sogar durch eine negative Divergenz verstärktes, bärisches Signal generierte und der DAX trotzdem nicht nach unten abdrehte, ist ein typisches Beispiel dafür … aber es ist kein Argument, solche Indikatoren als nutzlos einzuordnen und stattdessen einfach aus dem Bauch heraus zu agieren. Denn der Anteil an tauglichen Signalen ist beim RSI recht hoch. Und nutzt man ihn als ein Werkzeug von mehreren für Kauf- oder Verkaufsentscheidungen, ist er sehr wertvoll. Zumal er letztlich ja von der Logik getragen wird.
Denn ein in eine der beiden Extremzonen gelaufener RSI zeigt, dass die Kurse in relativ kurzer Zeit viel stärker gestiegen oder gefallen sind als normalerweise üblich. Das heißt, dass damit auch die Wahrscheinlichkeit zunimmt, dass dem Markt die Käufer bzw., wenn der RSI um oder sogar unter 30 Prozent liegt, die Verkäufer ausgehen. Das kann also oft funktionieren … und tut es, wie die Charts zeigen, auch. Aber ich bin eher skeptisch, ob man ihn stur so nutzen sollte, wie sich der Erfinder Welles Wilder das vorgestellt hat.
Wie ich selbst der RSI nutze
Denn das Basis-Regelwerk sagt aus, dass ein Short-Signal entsteht, wenn der RSI aus der überkauften Zone wieder in die „Normalzone“, also unter 70, zurückfällt und umgekehrt ein Kaufsignal, wenn er aus der Zone unter 30 wieder über 30 steigt. Das funktioniert zwar oft, aber nicht oft genug. Ich will daher hier einmal darlegen, wie ich den Indikator über diese Basis-Signalregeln hinaus nutze.
Ein Aspekt sind Divergenzen. Für mich sind sie kein entscheidendes Signal, aber das steigert auf jeden Fall die Zahl der Blicke, die ich auf den Indikator werfe. Divergenzen sind Abweichungen zwischen Basiswert und Indikator, wie im vorstehenden Chart gezeigt. Macht z.B. der DAX ein neues Tief, der RSI aber nicht – so, wie im Herbst 2023 der Fall – deutet das eine nachlassende Kraft der Abwärtsbewegung an und kann, wenn die Extremzone nahe oder erreicht ist, auf eine baldige Aufwärtswende hindeuten, für die Oberseite gilt das vice versa.
Divergenzen sind aber meiner Ansicht nach nur dann relevant, wenn zumindest eines der zwei Tiefs der Divergenz eine Extremzone berührt hat oder ihr, wie oben im Beispiel Herbst 2023, sehr nahe gekommen ist. Werte um 68 auf der Ober- und 32 auf der Unterseite beziehe ich bereits in die Extremzonen mit ein.
Darüber hinaus ist der RSI ein Indikator, bei dem ich anfange, Positionen in Trendrichtung sukzessiv abzubauen, wenn eine Extremzone nahe oder schon erreicht ist. Wenn dann noch andere Indikationen, wie z.B. der Bruch eines wichtigen, gleitenden Durchschnitts, einer Trendlinie oder eine Umkehrformation hinzukommen, bin ich meistens schon ohne Position und kann mich sukzessiv mit kleinen Trades in die Gegenrichtung „einkaufen“.
Zuletzt würde ich empfehlen, sich den RSI in mehreren Zeitrastern anzusehen. Er funktioniert auch oft bei ganz kurzen Zeitrastern wie der 15- oder 60-Minuten-Basis gut. Aber vor allem meine ich damit die Tages-, Wochen- und Monatsbasis. Kommt es da dann zu dem seltenen Phänomen, dass der RSI auf allen drei Zeitebenen in etwa zeitgleich in der oberen oder unteren Extremzone rangiert, wie wir das im vorstehenden Chart beim Nasdaq 100 Ende 2021 sehen, ist ein starkes Signal im Anmarsch, das man besser nicht übersehen und erst recht nicht ignorieren sollte.
Versuchen Sie sich einmal an diesem RSI … ich denke, er wird Ihnen ordentliche Dienste leisten können, sofern Sie nicht erwarten, dass hier jedes Signal zu einem Treffer wird. Ein Wunder-Tool, dass so etwas könnte, wird es nie geben können.
Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!
Ihr
Ronald Gehrt
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