„Promise made, promise kept“, mit dieser Aussage geht Donald Trump bei seinen Wählern hausieren. Würde der Einfuhrzoll für EU-Güter in die USA aber so, wie er es „empfohlen“ hat, am Samstag auf 50 Prozent steigen, hätte er seine Zusage, eine 90-Tage-Frist zu gewähren, gebrochen. Das wäre fatal für die EU, aber auch fatal für die USA. Und das nicht nur mit Blick auf die wirtschaftliche Perspektive.
Zumindest bei mir war der erste Gedanke, als ich sah, warum die Aktienmärkte am frühen Freitagnachmittag auf einmal Fallsucht bekamen: „Dreht der jetzt völlig durch?“ Eine höchst subjektive, emotionale Einschätzung, die ich, weil ich im Gegensatz zum US-Präsidenten nicht alles (und besser als alle anderen) weiß, nicht als zwingend richtig sehen möchte. Zumal es eine Frage war.
Aber nun ja, da waren doch diese 90 Tage, die der Herr Präsident am 9. April gewährte. Nachdem er zuvor am 2. April seine beeindruckend bizarr „berechneten“ Zölle gegen das Gros der restlichen Welt verkündet hatte. 90 Tage, die eben diese „Nicht-USA“ Zeit haben, um sich zu unterwerfen … was schreibe ich denn da, nein, um eine faire, neue Handelsbeziehung mit den bis dato fies über den Tisch gezogenen USA zu vereinbaren.
Und jetzt auf einmal also doch nicht. 50 Prozent, eine schöne, runde Zahl und hoch genug, um wie ein Handelsembargo zu wirken. Ab dem 1. Juni. Wenn bis dahin nichts passiert, das dem US-Präsidenten den Eindruck vermittelt, dass die EU tut, was er sich vorstellt. Und zwar hurtig.
Me, Myself & I: Das Gremium, das über die US-Zölle entscheidet
Dass vor allem die Eurozone-Aktienindizes daraufhin schlagartig wegkippten, als seien sie in einen offenen Gully gefallen, wundert nicht. Dass es die US-Index-Futures ebenfalls erwischte, wenngleich prozentual weniger, auch nicht. Denn außerhalb des engsten Dunstkreises um Mr. Trump ist mittlerweile jedem, der im Bereich Wirtschaft Grundwissen besitzt, klar: Diese Zölle sind eine beeindruckend miese Idee. Vor allem, wenn sie pauschal und gegen alles und jeden verhängt werden.

Aber dann, der vorstehende Chart, der den DAX am Freitag auf Fünf-Minuten-Basis abbildet, zeigt es, wiesen die ersten darauf hin, dass der US-Präsident in seinem „Truth Social“-Post ja nur „empfohlen“ habe, das zu tun. Und schon wurden die Verluste wieder gekauft. Weil er es ja am Ende doch nicht tut? Das dachte man in Bezug auf Dimension und Reichweite dessen, was Trump am 2. April, dem von ihm so genannten „Tag der Befreiung“ tat, vorher auch. Zumal:
Wem genau „empfehlen“ der Herr Präsident dieses denn? Bislang hatte man nicht den Eindruck, dass irgendwer außer ihm selbst da wirklich etwas zu entscheiden hat. Seine Truppe von Handelsberatern pflegt ihn zu preisen und zu nicken und selbst Finanzminister Bessent scheint, zumindest nach außen hin, nur eine Art Befehlsempfänger zu sein. Diese Empfehlung scheint also für ihn selbst zu gelten: Das Gremium Trump … dazu passt dieser alte Songtitel „Me, Myself & I“ irgendwie.
Und wie erklärte Finanzminister Bessent diese Sache? Der verkündete, die bisherigen Vorschläge der EU hätten nicht die gleiche Qualität gehabt wie diejenigen anderer Handelspartner. Und die 90 Tage seien ja nur für die gedacht gewesen, die auf die USA zukommen und „in gutem Glauben mit uns verhandeln“. Was übersetzt in etwa heißt: Wir in der EU sind ein verstockter und ebenso selbstsüchtiger wie heimtückischer Haufen.
Davon mal abgesehen, dass aus Brüssel im April zu hören war, dass die USA quasi nicht ans Telefon gehen, als es um Termine für Gespräche ging und am gleichen Tag, sprich am Freitag, Gespräche stattfanden (wenngleich nur auf Beauftragten-Ebene), muss die Bedingung, einen Aufschub nur unter der Voraussetzung eines subjektiv positiven Eindrucks zu gewähren, irgendwo im nicht vorhandenen Kleingedruckten gestanden haben.
Ein Musterbeispiel für: „Wie bringe ich mich selbst in Schwierigkeiten“
Jetzt kann man vermuten … und in diese Richtung könnte es in der Tat gehen, dass Mr. Trump a) einfach schlechte Laune hatte und wegen des Umstands frustriert war, dass Putin ihn am langen Arm verhungern lässt. Die EU kann er eh nicht leiden, weil die ihm zu kompliziert und zu nervig ist, mit all diesem Gewurstel an Gremien und Institutionen, aus denen die Gemeinschaft besteht. Und Apple geht ihm zudem auf den Geist, weil dieser Tim Cook einfach nicht tut, was er verlangt. Also kriegen die beiden spontan zum Frühstück eine verpasst: Die EU 50 Prozent, Apple 25 Prozent.
Aber halt, da muss ja noch b) kommen. Es könnte auch sein, dass Donald Trump beide „Opfer“ seines Freitags-Frühstücks auf diese Weise dazu zwingen will, mal in die Pötte zu kommen. Umgehend etwas anzubieten statt herum zu lavieren. Etwas, das wirklich in seine Richtung geht, damit er etwas hochalten und sagen kann: „Schaut, das habe ich geschafft“. Denn mehr als die Hälfte der 90 Tage sind um … und weder geht in Nahost etwas voran noch in der Ukraine, das Verbrauchervertrauen liegt am Boden, die Inflationssorgen steigen weiter, die US-Notenbank ist stur auf (laut Trump falschem) Kurs und in Sachen „Deals“ ist bisher nur etwas mit Großbritannien gelaufen, aber noch nicht unterzeichnet. Da wird es Zeit für „good news“. Und wenn nötig, dann halt so, mit der Brechstange.
Ich halte es zumindest für recht wahrscheinlich, dass diese Aktion eine Kombination aus beidem ist. Aber weder Apple noch die EU können einfach so Berge versetzen. Zumal weder Apple noch die EU der Ansicht sein können, dass das, was der US-Präsident fordert, für sie mehr sein könnte als einfach nur drastisch negativ. Was also wird am kommenden Samstag passieren?
Kann er es sich wirklich leisten, diese „Empfehlung“ zurückzunehmen, ohne von der EU etwas vorweisen zu können? Zumal er später am Freitag noch erklärte: „I’m not looking for a Deal with EU. We’ve set the Deal, it’s 50 %“? Täte er es, wäre sein Standing im Wahlvolk noch wackliger. Er würde als Unentschlossen daherkommen, genau das, was er auf gar keinen Fall will. Damit kann man zumindest festhalten: Der US-Präsident hat sich mit diesem „Posting“ ohne Not selbst in Schwierigkeiten gebracht.
Und die Märkte? Setzt er diese Drohung um, würden 50 Prozent Zoll eine fatale Wirkung entfalten. Bei den EU-Exporteuren, bei den US-Importeuren, bei den Arbeitnehmern hier, bei den Konsumenten drüben. De facto hieße das: Der 2. April wäre mit einem Schlag wieder da. Der 2. April, der zum Crash des 7. April geführt hatte. Wenn wir uns dann mal den marktbreiten US-Index S&P 500 ansehen, darf man sich schon fragen: Verstehen die Anleger nicht, was da gerade passiert?

Der US-Anleihemarkt reagiert bärisch, die Aktienmärkte nicht.
Denn die Erkenntnis steht spätestens jetzt doch haushoch an den Wänden aller Börsensäle: Donald Trump tut, was er will, wann er will und wie er es will. Und wenn ihm seine eigenen Versprechungen nicht mehr genehm sind, wirft er sie einfach über Bord.
Was die US-Märkte angeht, steht da ja obendrein auch noch sein neues Steuergesetz, dass er „Big Beautiful Bill“ nennt, drohend im Raum. Runter mit den Steuern, je mehr man zahlt, desto größer soll die Senkung ausfallen. Zu Lasten neuer Schulden, die (laut Trump, aber entgegen der Warnung zahlloser Experten) dann durch mehr Steuereinnahmen durch rasant anziehendes Wirtschaftswachstum ausgeglichen werden sollen. Gespart werden soll zudem dort, wo es seiner Ansicht nach nicht wichtig ist, Geld bereitzustellen, u.a. bei Medicaid, Verpflegungszuschüsse (Food Stamps), Bildung. Das Gesetz ist mit einer mickrigen Stimme Mehrheit durch das Repräsentantenhaus gekommen, jetzt ist der Senat dran.
Am Anleihemarkt, wo man grundsätzlich enger an den Fakten agiert, ist die Stimmung nicht gerade gut. Wir sehen im folgenden Chart, dass die Rendite für US-Staatsanleihen (T-Bonds) mit 30 Jahren Laufzeit zuletzt wieder angezogen hat und kurz davorsteht, das 18-Jahres-Hoch, das Ende 2023 erreicht wurde, zu überbieten. Das bedeutet: Das Schuldenmachen wird für die US-Regierung immer teurer. Und es bedeutet: Geld fließt aus US-Anleihen ab. Aber nicht aus dem Aktienmarkt. Weil?

Was Anleger und Ameisen außer dem Anfangsbuchtstaben oft gemeinsam haben
Das ist eine wichtige Frage, denn rein von der Ratio her kann man mittlerweile nicht mehr unterstellen, dass sich das alles in der immerhin noch sehr lange währenden Amtszeit des derzeitigen US-Präsidenten zum Guten wenden wird. Und dass die großen Unternehmen, die in DAX, Dow oder Nasdaq notiert sind, eine solche Wirtschaftspolitik schon wegstecken werden, ist illusorisch, dafür ist sie zu drastisch, zu wenig durchdacht, zu einseitig.
Eine Begründung, die sich finden lässt, ist eine, die ich erstmals in einer Analyse der Bank of America vor vielen Jahren fand und die erklärt, warum speziell der Aktienmarkt im Zweifel einfach trotzdem steigt, die Anleger gerade in besonders kritischen Phasen kaufen, statt auszusteigen:
Wenn die Gesamtsituation ungewöhnlich kompliziert wird und die Risiken eine Dimension annehmen, in der man nicht mehr imstande ist, diese in Dollar oder Prozent zu erfassen, reagieren viele wie Ameisen. Ameisen weichen Hindernissen und Gefahren, die sie in ihrer Größe abschätzen können, aus. Aber nicht einem menschlichen Fuß, der für sie von der Richtung und Größe her einfach nicht zu erfassen ist.
Ähnlich reagieren viele Marktteilnehmer, vor allem, wenn sie wenig bis gar nicht erfahren sind (was man am Anleihemarkt seltener sieht als bei Aktien): Sie tun einfach, als wäre alles normal, als würde sich alles schon von alleine zum Guten fügen und tun, was sie immer tun: sie kaufen. Und wenn genug so vorgehen, steigen die Kurse, was wiederum zu dem bestätigenden Gefühl führt, das Richtige zu tun, denn die anderen (die sicher wissen, was sie tun) machen es ja auch.
Man könnte sich jetzt zurücklehnen und sich sagen: „dann passt doch alles“. Das könnte man, würde die Historie nicht aufzeigen, dass dieses „Ameisen-Verhalten“ nicht nur für Ameisen, sondern auch für Anleger am Ende meist schiefgeht. Die Chance, ausgerechnet im Bereich einer Profilrille des Stiefels unterwegs zu sein, wenn der Schuh den Boden berührt, ist genauso niedrig wie die, zufällig genau die Aktien im Depot zu haben, die nicht fallen, wenn der Markt doch noch auf eine negative Entwicklung reagiert.

Und diesmal haben wir ja sogar noch eine Blaupause vor Augen, nämlich den Kurseinbruch von Anfang April. Die Kurse stiegen, weil man dachte, das doch nicht passiert, was man zuvor panisch eingepreist hat. Jetzt steht mit Mr. Trumps 50-Prozent-Aussage im Raum, dass in ein paar Tagen womöglich genau das doch passiert, was man zuvor ausgepreist hat, so gesehen: Obacht!
Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!
Ihr
Ronald Gehrt
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