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Netflix ist ein Paradebeispiel dafür, wie die Börse funktioniert. Man könnte auch sagen, es ist ein gutes Beispiel dafür, wie schlecht die Börse funktioniert und wie weit wir von einem effizienten System entfernt sind.
Es ist immer dasselbe
Ich möchte die ganze Geschichte nicht in allen Details aufdröseln, aber was hier geschehen ist, ist wahrlich bemerkenswert.
Über Monate hinweg jagte die Aktie von einem Hoch zum anderen. Für Anleger schien es keine Rolle mehr zu spielen, ob der Börsenwert von Netflix bei 120, 200 oder 300 Milliarden Dollar liegt.
Bei Netflix lief es blendend, daher wurde die Aktie auch einfach gekauft, was sollte schon schiefgehen?
Die Antwort darauf kennen wir inzwischen. Selbstverständlich war das Wachstum von 2020/2021 nicht nachhaltig und auch nicht wiederholbar.
Und selbstverständlich hat die Konkurrenz zugenommen, zum Beispiel durch Disney+.
All das war nicht nur absehbar, sondern vollkommen klar, auch als die Aktie noch bei 500-700 USD notierte. Damals wollte es nur niemand hören.
Es geht hier nicht darum, den Besserwisser zu spielen. Wer lange genug an der Börse dabei ist, weiß genau, dass man besser demütig sein sollte.
Es geht darum, dass wir alle etwas daraus lernen können.
Solange die Kurse steigen, will niemand etwas von Problemen und möglichen Fallstricken wissen.
Während Aktien in die Tiefe rauschen, wird hingegen über nichts anderes diskutiert als über Probleme.
Menschen sind eben nicht rational und dementsprechend ist der Markt auch nicht effizient.
Wie könnte man es anders erklären, dass selbst der Kurs von Großkonzernen binnen weniger Monate von 252 auf 700 steigen und dann auf 162 USD fallen kann.
Der Herdentrieb schlägt zu
Während die Rallye in vollem Gange war, wurde in Foren und den Medien nur in den höchsten Tönen über Netflix gesprochen.
Bank- und Researchhäuser erhöhten die Kursziele wieder und wieder. Hinzu kommen Gier, Neid und die Angst, eine Rallye zu verpassen.
Diese und viele andere Faktoren verstärken sich gegenseitig und führen dazu, dass es an der Börse immer wieder zu Übertreibungen kommt.
Das gilt auf der Ober- wie auch auf der Unterseite.
Wie viele bullische Einschätzungen und Kommentare zu Netflix gab es, als die Aktie im Sinkflug war und bei 162 oder 215 USD notiert hat?
Viele waren es jedenfalls nicht (Link), Warnungen hörte man hingegen genug.
Dabei ist es doch vollkommen klar, dass das Chance-Risiko-Verhältnis umso besser wird, je niedriger der Kurs ist.
Und ebenso wie es klar war, dass das Wachstum von 2020/2021 nicht anhalten wird, konnte man auch ziemlich sicher sein, dass Netflix die darauffolgende Flaute überstehen wird.
7,7 Millionen neue Kunden
Das Interessanteste daran ist, dass Netflix selbst während der Flaute wachsen konnte. Die Nutzerzahlen stagnierten zwar kurzzeitig, der Umsatz allerdings nicht.
Selbst wenn man davon ausgegangen wäre, dass Netflix zukünftig kaum noch organisch wachsen kann, hätte das Unternehmen noch Möglichkeiten gehabt:
Ein werbe-basiertes Angebot, Maßnahmen gegen Sharing von Accounts, steigende Abopreise und Gaming (Link).
Inzwischen wissen wir aber, dass Netflix doch noch neue Kunden gewinnen kann. Im letzten Quartal waren es 7,7 Millionen.
Der Gewinn lag mit 0,12 je Aktie trotzdem weit unter den Erwartungen von 0,45 USD. Der Umsatz lag mit 7,85 Mrd. im Rahmen der Analystenschätzungen.
Der gemeldete Gewinn ist aber ohnehin kein guter Maßstab und wurde obendrein durch einen nicht zahlungswirksamen Verlust in Höhe von 462 Mio. USD belastet, der durch die Neubewertung von Schulden in Euro zustande gekommen ist.
Viel wichtiger ist, dass Netflix im gerade abgeschlossenen Geschäftsjahr einen freien Cashflow von 1,6 Mrd. USD erzielt hat und für 2023 einen FCF von mindestens 3,0 Mrd. USD in Aussicht stellt.
Der FCF lag 2022 also bei 3,60 USD je Aktie (erwartet wurden nur 2,32 USD) und soll 2023 auf 6,75 USD je Aktie steigen.
Die bisherigen Konsensschätzungen lagen bei 5,75 USD.
Fragen Sie die Zwanzigjährigen
Noch wichtiger ist die Perspektive von Netflix. Dazu findet man auf Seite 7 des aktuellen Quartalsberichts eine interessante Grafik (Link).
Je nachdem in welchem Land entfallen heute nur 6-40% des TV-Konsums auf Streaming und der Rest auf das lineare Fernsehen.
Das wird sich in Zukunft drastisch ändern.
Fragen Sie mal ein Dutzend Zwanzigjährige, wie viel lineares Fernsehen sie konsumieren und wie viel YouTube, Netflix & Co.
Die meisten werden Ihnen wohl antworten, dass sie kaum oder überhaupt kein TV schauen oder nicht mal mehr einen Fernseher besitzen.
Das wäre bereits eine interessante Erkenntnis. Es wird aber noch interessanter, wenn man den Advertising-Markt betrachtet, denn der hinkt diesem Trend sogar noch hinterher.
Was meine ich damit?
Nehmen wir beispielsweise den US-Markt. Dort entfallen inzwischen rund 40% des TV-Konsums auf Streaming, gleichzeitig aber nur 3% des Werbebudgets.
Im Jahr 2021 wurden in den USA 65,66 Mrd. USD für TV-Werbung ausgegeben und nur 2,08 Mrd. USD für Werbung im Streaming-Segment.
In den meisten anderen Ländern ist die Schere noch viel größer.
Für die Werbetreibenden ergibt das aus vielerlei Gründen überhaupt keinen Sinn.
Denn selbstverständlich sind für den Konsum vor allem jüngere Menschen wichtig und die spricht man am besten Digital an.
Obendrein kann man die jeweilige Zielgruppe im Streaming-Umfeld viel genauer identifizieren und zielgerichtete Werbung schalten.
Diese Diskrepanz im Advertising-Markt ist vor allem dadurch begründet, dass Streaming-Anbieter wie Netflix bisher keine Werbung geschaltet haben.
Big Business
Daraus lassen sich einige recht interessante Überlegungen ableiten.
Nehmen wir „zum Spaß“ mal an, dass die Werbebudgets perspektivisch dem Medienkonsum entsprechen.
Selbst wenn man davon ausgeht, dass Streaming im Vergleich zum linearen Fernsehen nicht noch mehr an Gewicht gewinnen wird oder Netflix seine Marktanteile ausbauen könnte, würde das zu Milliarden an Mehreinnahmen führen.
In diesem Gedankenexperiment würden in den USA rund 5,25 Mrd. USD der Werbebudgets auf Netflix entfallen und weltweit 12,8 Mrd. USD.
Advertising ist Big Business.
Überschriften
Der Vollständigkeit halber sollten wir vielleicht noch zwei Punkte anschneiden, vor allem, da sie die Berichterstattung dominieren:
Netflix will stärker gegen Account-Sharing vorgehen und Firmenchef Hastings tritt ab.
Beides ist ziemlich belanglos und/oder nicht neu. Dass man Account-Sharing einen Riegel vorschieben will, sollte selbstverständlich sein und das wurde auch schon vor Monaten kommuniziert.
In der verlinkten Analyse sind wir ebenfalls auf das Thema eingegangen.
„Firmenchef Hastings tritt ab“, „Netflix verliert Chef“ oder „Rücktritt des Firmengründers“ – so lauten die Überschriften.
Ich habe mir nicht die Mühe gemacht, die Artikel komplett zu lesen. Aber eine Suche nach den Worten „Chairman“ oder „Aufsichtsrat“ war in den drei Artikeln ergebnislos.
Wir dürfen also davon ausgehen, dass nur der „Rücktritt“ thematisiert wurde, aber nicht der Umstand, dass Hastings 62 Jahre alt ist, einer der größten Anteilseigner von Netflix bleibt und zukünftig den Posten als Executive Chairman übernimmt.
Hastings wechselt also nur in den Aufsichtsrat.

Netflix notiert vorbörslich 5,87% im Plus bei 334,33 USD. Kann dieser Anstieg auch im regulären Handel bestätigt werden, kommt es mit dem Ausbruch über 330 USD zu einem Kaufsignal.
Mögliche Kursziele liegen bei 380 sowie 400-413 USD.
Fällt die Aktie hingegen unter 330 USD zurück, ist ein Rücksetzer zum Aufwärtstrend nahe 300 USD wahrscheinlich.
Fällt Netflix unter dieses Niveau, haben die Bullen ihre Chance vorerst vertan.
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