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Erst verbreitete sich diese Ansicht unter den Anlegern, jetzt glaubt auch die Bundesregierung daran: Gemäß ihrer aktuellen Voraussage wird 2023 ein leichtes Wachstum zeigen. Für nicht wenige ist das ein Argument, um beim DAX nahe am alten Rekordhoch so richtig zuzulangen. Aber wenn man die Sache mal durchdenkt, stellt man fest: Dieses Szenario ist nicht gerade wahrscheinlich, denn man macht die Rechnung ohne so manchen Wirt.
Das Statistische Bundesamt hatte schon Mitte Januar überschlagen, dass die deutsche Wirtschaftsleistung im Gesamtjahr 2022 um 1,9 Prozent gestiegen sei. Dass das trotz Inflation und Ukraine-Krieg sowie den letzten Ausläufern der Corona-Krise möglich war, dürfte nicht nur so manchen Anleger davon überzeugt haben, dass die heimische Wirtschaft stark genug ist, der Inflation und den höheren Zinsen auch weiterhin zu trotzen. Es dürfte auch die Bundesregierung dazu verleitet haben zu prognostizieren, dass Deutschland 2023 nicht, wie noch im Herbst vermutet, eine wirtschaftliche Schrumpfung erleben, sondern leicht wachsen wird. Doch davon abgesehen, dass solche Weissagungen nichts zu sagen haben, nicht umsonst werden sie permanent verändert, denke ich, dass man sich da tendenziell auf dem Holzweg befindet.
Das Wachstum 2022 ist keine Basis, um für 2023 den Daumen zu heben
Denn nüchtern betrachtet kam dieses auf den ersten Blick so seltsam wirkende Wachstum des Vorjahres nicht trotz Corona, Ukraine, Inflation und höherer Zinsen zustande, sondern wegen dieser Faktoren. Und wegen der ersten „Geldspritzen“ der Bundesregierung, entgegen den Warnungen der EZB. Überlegen wir mal:
Diese um wohl 1,9 Prozent höhere Wirtschaftsleistung hat als Vergleichsbasis das 2. Corona-Jahr 2021. Als weder Gastronomie, Hotellerie noch Eventbranche irgendetwas auf die Kette bekommen konnten. Ab Frühjahr 2022 aber wurde wieder „aufgemacht“. Alleine das macht ein „Mehr“ im Vergleich zu 2021 aus.
Dann hatten wir eine nicht unwesentliche Menge an Vorkäufen von Verbrauchern, die dabei auch teilweise ungerechtfertigt hohe Preise bezahlten, weil man fürchtete, dass in Kürze alles noch viel teurer wird, immerhin sangen manche Medien monatelang das Lied der Hyperinflation. Aber was gestern vorzeitig gekauft wurde, wird morgen eben nicht mehr gekauft.
Wir hatten 2022 den Faktor der Lieferprobleme, die auch und gerade bei Neufahrzeugen dazu führten, dass zwar gegenüber 2021 weniger Fahrzeuge verkauft wurden, die aber zu so hohen Preisen, dass der Umsatz der wichtigen Automobilbranche deutlich stieg.
Und natürlich wurde, zumindest bis in den Spätsommer hinein, hektisch gebaut, um noch zumindest einigermaßen „angenehme“ Hypothekenzinsen mitnehmen zu können.
All das trug dazu bei, dass die Gesamtwirtschaftsleistung wuchs, statt zu sinken. Aber all das sind auch Faktoren, die uns 2023 ausbremsen. Vorgezogene Investitionen bedeuten, dass so manche Branche in ein Loch fallen wird. Die Baubranche klagt schon jetzt. Und in Sachen Maschinenbau, Dienstleistungen oder Autobranche könnte es ebenfalls ungemütlich werden. Das ist keine Basis, um für 2023 mit Wachstum zu rechnen. Aber, werden nun einige einwenden, wenn die Inflation verschwindet und die Zinsen fallen, dann wird Geld billiger und wieder ordentlich auf Pump gekauft, gebaut und, am Ende, auch investiert. Und genau darauf steuern wir doch gerade zu. Oder nicht?

Vier Punkte, die wir brauchen … und wohl nicht bekommen
Genau: oder nicht. Vorstehend sehen Sie noch einmal eine Grafik, die ich vor einigen Wochen gezeigt hatte: Der eigentliche Druck auf die Wirtschaft folgt normalerweise erst nach dem Höhepunkt der Inflation. Und das ist auch logisch.
Denn was vielen nicht wirklich bewusst ist: Wenn die „Inflationsrate“ fällt, heißt das nicht, dass alles wieder billiger wird. Das heißt nur, dass alles langsamer teurer wird. Aber teurer wird es eben dennoch. Es müsste monatelang zu sinkenden Preisen kommen, und zwar außerhalb der volatilen Energiepreise, es bräuchte Deflation, um die Kaufkraft ohne das Risiko einer Lohn/Preis-Spirale wieder auf vorheriges Niveau zu bringen. Die Kernrate der Teuerung müsste fallen, d.h. die Preise für Autos, Mieten, Möbel, Dienstleistungen aller Art müssten runter. Erst das wäre eine echte Entlastung. Und das ist bislang eben nicht der Fall. Am Dienstagnachmittag kommt die Vorab-Berechnung der deutschen Inflation des Januars … wir dürfen gespannt sein, was da auf den Tisch kommt. Aber zurück zum Punkt:
Um für 2023 Wachstum erwarten zu dürfen, bräuchten wir folgende Entwicklungen:
Die Inflation müsste effektiv deutlich zurückkommen, zugleich aber die Löhne nicht stark zulegen.
Die Unternehmen müssten eine inflationsdämpfende Preispolitik betreiben.
Die Verbraucher müssten wieder spürbar mehr konsumieren.
Die Zinsen müssten zeitnah und deutlich sinken.
Die Lohn-Preis-Spirale ist noch nicht vom Tisch
Dass wir in der folgenden Grafik dramatisch negative Reallöhne sehen, sollte da nicht beruhigen. Die momentan ausgehandelten Lohnsteigerungen und laufenden Tarifverhandlungen werden die Inflation 2023 zu einem relativ hohen Teil ausgleichen. Das bietet den Unternehmen das Argument, die Preise wegen höherer Lohnkosten weiter anzuheben. Und da wir dann ja auch noch diese meist wenig gezielten Geldspritzen der Regierung sehen, bleiben zwar viele in finanzieller Not, andere haben aber nach entsprechenden Lohnerhöhungen und Sonderzahlungen wie der „Inflationsausgleichsprämie“ glattweg mehr als vorher.

Damit hätten wir zwar eine Stützung der Konsumfähigkeit insgesamt. Aber der Versuch, sich um eine Rezession herum zu mogeln, indem man eilig Geld druckt bzw. sich das über die Ausgabe immenser Mengen neuer Anleihen refinanziert, bedeutet, dass der Konsum sich auf dem derzeitigen Level halten könnte … nicht muss … und genau das ist es, wovor die EZB gebetsmühlenartig warnt. Die Politik will nicht untätig dastehen und damit den Wähler auf die Barrikaden bringen und ignoriert deswegen die Warnungen. Aber genau so wird das Abebben der realen Inflation ausgebremst, was hieße: Die EZB muss die Zinsen weiter erhöhen. Es sei denn …
Unternehmen, die auf Rekordgewinne verzichten … ernsthaft?
… man würde bei großen Unternehmen, seien es die Einzelhandelsketten, die Autobauer oder einige Dienstleister, tatsächlich nur noch Preise nehmen, die dem Anstieg der eigenen Kosten entsprechen. Denn die Rekordgewinne, die viele große Unternehmen trotz dieser kritischen Gesamtsituation für 2022 ausweisen bzw. ausweisen werden, machen klar: Man hat dieses Argument der Inflation ausgenutzt, um die Preise da, wo es möglich war, so stark anzuheben, dass nebenbei auch die eigene Gewinnmarge mit stieg. Da wohl kaum jemand ernsthaft glaubt, dass das 2023 anders wird, solange man von politischer Seite die höheren Preise mit finanziellen Stützungsmaßnahmen auszugleichen versucht, dürfte diese Voraussetzung einer Rückkehr zu realem Wachstum nicht erfüllt werden.
Der Konsum müsste anspringen … aber wie und womit?
Mich persönlich erstaunt es, dass meine Online-Bestellungen auf einmal binnen weniger Stunden gepackt, versendet und rasend schnell vor Ort sind. Und das in ganz unterschiedlichen Bereichen. Es macht den Eindruck, als wäre momentan in Sachen Bestellungen nicht allzu viel los.
Hinzu kommt, dass ich im persönlichen Umfeld sehe, wie viele Mieter die gestiegenen Energiepreise nicht ernst genommen haben, jetzt aber bei der Nebenkostenabrechnung blankes Entsetzen empfinden, weil sie das nachzuzahlende Geld nicht haben. Und auch Eigentümer bekommen häufig (ich zum Beispiel) jetzt erst Post von ihrem Energieversorger, der die Preise drastisch nach oben nimmt. Dieses Geld wird fehlen.
Auch die immer häufiger werdenden Meldungen über Entlassungen bei US-Unternehmen sollten aufhorchen lassen, die schwachen US-Konjunkturdaten ebenso, Teslas jüngst gemeldete Preissenkungen sowieso. Sicher, das betrifft die USA. Aber wie wahrscheinlich ist es, dass es diesmal nicht so läuft wie früher und ein Abschwung in den USA wenige Monate später auch Europa erreicht? Wie wahrscheinlich ist es, dass Europa diesmal eine Insel der Glücksseligen wird? Und das, obwohl man auch fürchten muss, dass China als Abnehmer europäischer Waren vorerst nicht mehr zu alter Stärke zurückfinden wird, wie zuletzt z.B. der Chef von Intel mutmaßte … auf Basis dessen, was er im eigenen Unternehmen sieht? Es ist immens unwahrscheinlich.

Und woher soll denn ein wieder anspringender Konsum als Basis von Wachstum trotz höherer Zinsen und Inflation kommen? Wenn wir uns im vorstehenden Chart ansehen, wie massiv die Sparquote in den USA zuletzt unter Druck kam und das mit den schwachen US-Einzelhandelsumsätzen ins Verhältnis setzen, wird klar:
Die US-Bürger sparen nicht weniger, weil sie mehr ausgeben, sondern weil weniger zum Sparen übrig ist. Sicher, man kann das Geld auch außerhalb des Einzelhandels ausgeben, aber wo wollte man momentan den Konsum-Boom finden, der dann ja greifbar sein müsste? Dass die US-Wirtschaft im vierten Quartal dennoch wuchs, hat viele Gründe. Ein starker Verbraucher als Rückgrat soliden Wachstums ist nicht dabei.
Für Deutschland werden diese Daten nur vierteljährlich vorgelegt, der letzte Stand ist daher vom 30. September. Aber auch da sehen wir, dass die Sparquote in den vergangenen Quartalen tendenziell gesunken ist. Und damit kommen wir wieder zu den vorherigen Punkten:
In diesem Umfeld muss die EZB die Zinsen weiter anheben
Wenn man seitens der öffentlichen Hand versucht, den Konsum künstlich aufzupeppen, indem man mit Geld um sich wirft, werden die Unternehmen die Preise nicht senken, sondern anheben. Dann kann die EZB gar nicht anders, als die Zinsen weiter zu erhöhen. Und schon kommen wir in den fatalen Kreislauf, der zum Ergebnis hat, dass man zwar mit höheren Löhnen und Ausgleichszahlungen eine unmittelbare Rezession verhindert, diese aber dadurch nur etwas später einsetzt und umso heftiger wird, weil genau das, was gerade läuft, das ist, das die EZB zu weiteren Zinserhöhungen zwingt. Denn dort weiß man, was man in der Politik nicht versteht oder nicht wissen will und so mancher Konjunktur-Optimist womöglich auch nicht:
So übel es auch ist, dass vor allem die finanziell ohnehin schlecht gestellten Menschen die falsche Politik von Regierungen und Notenbanken der letzten gut 20 Jahre ausbaden müssen, in denen man die Zinsen nicht auf Normalniveau zurückführte, bewusst Überschuldung zuließ und Reformen verweigerte:
Wir steuern momentan auf einen „Schrecken ohne Ende“ zu
Es geht nicht anders als über das Drücken des Konsums, wenn man die Inflation stoppen will, statt durch Nichtstun eine Situation herbeizuführen, die man nicht mehr in den Griff bekommt. Durch eine solche Phase muss man durch. Und wenn weiter massiv gegen die EZB gesteuert wird, bekommen wir nicht das unangenehme Ende mit Schrecken, sondern einen extrem fatalen Schrecken ohne Ende.
Am Anleihemarkt, wo die großen Investoren mehrheitlich deutlich fachkundiger und erfahrener sind als am Aktienmarkt, versteht man das genau. Der folgende Chart zeigt einerseits den DAX, andererseits das Kursbarometer deutscher Anleihen am Futures-Markt, den Bund Future. Um das kurz zu erläutern: Steigende Zinsen bzw. die Erwartung dessen bedeuten, dass der Kurs des Bund Future fällt, weil man höhere Zinsen dann in die Kurse laufender Anleihen „einarbeitet“. Bei fallenden Zinsen geht es mit dem Bund Future im Gegenzug aufwärts. Wir sehen:

Die Aktienmarkt-Bullen wetten gerade gegen die Notenbank und den Anleihemarkt
Bis Ende 2019 ging es mit den Zinsen fast konstant nach unten, der Bund Future stieg. Das Geld wurde also immer billiger bzw. blieb billig, ein ideales Umfeld für Wachstum und steigende Aktienkurse. Dann folgte eine Toppbildung, die 2022 in einen deutlich fallenden Bund Future überging. Sprich das Geld wurde teuer, die Zinsen stiegen, die Leitzinsen ebenso wie die Renditen der Anleihen und die Kosten für Kredite und Hypotheken. Ein Umfeld, das schlecht ist für Wachstum und Aktienkurse.
Der DAX folgte dieser Vorgabe … aber nur bis Anfang Oktober. Seither steigt er steil an, weil man dort darauf wettet, dass diese Quadratur des Kreises in Form steigenden Konsums, fallender Zinsen und einer trotzdem einfach verschwindenden Inflation gelingt, irgendwie. Am Anleihemarkt indes steigt der Bund Future nicht mit:
Dort sind die Renditen der Anleihen weiter hoch, weil man an dieses rosige Szenario nicht glaubt, da es der logischen Grundlage entbehrt. Wer dennoch darauf besteht, dass 2023 ganz prima wird und am Aktienmarkt beherzt zulangt, wettet also nicht nur gegen die Notenbank, sondern auch gegen die erfahrenen Investoren am Anleihemarkt. Das mit „verwegen“ zu umschreiben, wäre noch harmlos.
Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!
Ihr
Ronald Gehrt
* Charts vom 27.1.2023, Chartquelle marketmaker pp4
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