Börse aktuell

Hier erfahren Sie, was an der Börse aktuell geschieht. Unser Börsenexperte Ronald Gehrt beobachtet täglich das aktuelle Börsengeschehen und fasst die neuesten Börsendaten und Börsenberichte wöchentlich für Sie zusammen. Mit Börse aktuell bringen wir die wichtigsten Börsennachrichten auf den Punkt und kommentieren, was momentan an der Börse los ist.

Börse: Aktuelle Nachrichten der Woche

Neues von der Börse: Unsere aktuellen Börsennachrichten informieren Sie jede Woche über die derzeitige Börsenentwicklung. Was beschäftigt die Börse? Was steht diese Woche an? Diktieren Bullen oder Bären die Märkte? Sollten Sie Ihre Investitionen erhöhen oder lieber Gewinne mitnehmen? Wir geben Ihnen die Antworten auf diese Fragen, wagen einen Ausblick auf die kommende Börsenwoche und bewerten anstehende Ereignisse, die Auswirkungen auf den Börsenverlauf haben könnten.


Börse aktuell vom 29.-05.10.2025

Warum erwischen Trendwenden so viele auf dem falschen Fuß?

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Die Analysen von Ronald Gehrt basieren auf einer Kombination fundamentaler Fakten und Daten mit der aktuellen chart- und markttechnischen Situation des/der hier vorgestellten Index/Rohstoffs/Währungspaars/Aktie. Bilanz- und Konjunkturdaten sowie wirtschafts- und finanzpolitische Fakten, Nachrichten und/oder Statements werden als Grundlage zur Beurteilung der charttechnischen und markttechnischen Perspektive des untersuchten Werts analysiert.

Warum ausgerechnet jetzt? Das ist die typische Frage, die man zu hören bekommt, wenn ein Aktienindex auf einmal eine dynamische Wende nach unten oder nach oben vollzieht. Was daran liegt, dass die Wende und die sie begründende Veränderung der Faktenlage selten bis nie zeitlich zueinander passen. Warum ist das so?

Will man es in ganz kurzer Form auf den Punkt bringen, könnte man es so ausdrücken: Das ist so, weil die Börsen – und vor allem die Aktienmärkte – nicht rational sind. Weil zwischen den Fakten und den Kursen ein Filter Namens Mensch sitzt. Und der wirkt wie eine Wundertüte.

Da sehr viele Menschen – üblicherweise unbewusst – Informationen subjektiv interpretieren oder, wenn sie ihnen nicht in den Kram passen, auch mal komplett ignorieren, kann man nicht erwarten, dass etwas, das objektiv betrachtet zwingend die Kurse deutlich nach oben oder unten bewegen müsste, auch tatsächlich und dann auch noch sofort diese Reaktion hervorruft. Das kann vorkommen. Aber es ist eher selten. Schauen wir uns dazu mal Beispielfälle an.

Der Zoll-Crash und sein abruptes Ende

Hier sehen wir einen Fall, in dem die Marktteilnehmer unmittelbar und grundsätzlich logisch reagierten. Man wusste, dass Donald Trump am 2. April abends seine Entscheidung über die Einfuhrzölle verkünden würde. Doch man ahnte nicht, wie absurd extrem das dann ausfallen würde. Trotzdem hielt sich die Reaktion am ersten Handelstag danach noch in Grenzen. Erst am Tag danach wurde es heftig. Und dann, nach einem Wochenende, kam es am Montagmorgen beim DAX zum Crash. 

Börse aktuell: Entwicklung DAX im Jahr 2025 - Reaktion auf Zölle | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung DAX im Jahr 2025 – Reaktion auf Zölle | Quelle: marketmaker pp4

Der traf indes noch am gleichen Tag auf Käufe. Aber die Verkündung einer 90-Tage-Frist, die gewährt wurde, weil die US-Verantwortlichen sahen, dass ihre Aktion die Kapitalmärkte gerade an den Rand des Kollapses gebracht hatte, kam erst später, genau eine Woche nach der Zoll-Liste. Das Tief kam Tage vorher, an dem Tag, an dem am Morgen die Panik am größten war. Warum ausgerechnet da? Ist das logisch?

Nicht, wenn man unterstellen wollte, dass die Kurse sklavisch entlang der Nachrichtenlage bzw. der Fakten (was ja nicht zwingend dasselbe sein muss) reagieren. Aber das tun sie ja auch selten. Zumal dann auch noch die sogenannte „Mechanik der Märkte“ mit hineinspielt. In diesem Fall lief es so ab:

Zuerst der Absturz: Dass sich der Kurseinbruch immer mehr intensivierte, lag daran, dass viele diese Zölle bis zum Tag X, als Trump seine absurde Zolltafel in die Kameras hielt, nicht ernst genug genommen hatten. Für diese Akteure war dann auch weniger der Zollthema die Basis der Panik, sondern die immer schneller fallenden Kurse an sich. Das führte über das Wochenende zu schlechtem Schlaf und wachsender Angst. Und am Montagmorgen wollten dann einfach zu viele zu jedem Preis aussteigen und fast niemand kaufen. Das war es, was den DAX und andere Indizes mit dieser riesigen Abwärts-Kurslücke in den Handel schickte: Ein extremes Ungleichgewicht von Angebot und Nachfrage. Nicht Trump selbst, sondern diese Basisaspekte des Handels, die „Mechanik der Märkte“.

Und die Kaufwelle? Dito. Wer im DAX auf der Short-Seite stand, konnte sein Glück am Montagmorgen kaum fassen. Riesengewinne aus heiterem Himmel … dass viele die sofort kassieren wollten, bevor sie weg sind, war klar. Und wenn vorher Unmengen an Akteuren verkauft haben, gehen dem Markt dann kurzfristig die Verkäufer aus. Dadurch entstand das umgekehrte Bild wie zuvor: Keine Verkäufer, aber Käufer en masse. Denn wer Short ist, muss entweder seine vorher leer verkauften Aktien eindecken, sprich kaufen, um die Position dadurch zu schließen. Oder jemand, der im Future Short war, muss eine Long-Position dagegenhalten, um neutral zu sein.  Was auch bedeutet:

Meist ist es nur die „Mechanik der Märkte“, die den Stein ins Rollen bringt

Das Tief kam am Montag, den 7. April, Trumps „Galgenfrist“ aber erst am Abend des 9. April, was dann zu der immensen Aufwärts-Kurslücke des DAX am 10. April führte. Wer da am 7. oder 8. April kaufte, hatte keine seherischen Fähigkeiten, das waren vor allem Bären, die nur ihre Gewinne kassierten, ohne deswegen auf einmal Optimisten sein zu müssen. Und darüber hinaus rein charttechnisch und kurzfristig agierende, spekulative Trader. Die Kurswende, die war also am 7.4., die Faktenwende am Abend des 9.4. Und so etwas sehen wir durchaus häufig.

Es ist oft einfach die „Mechanik der Märkte“: Kursbewegungen, die auf einem untypisch intensiven Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage basieren, die die Wende bringen. Wobei man gleich als nächste Regel hinterherschieben könnte:

Bleiben entsprechende, die Wende zeitgleich oder nachträglich unterfütternde Fakten aus, kann die Wende auch in sich zusammenbrechen, sprich scheitern. Dazu Beispiel Nummer 2, der Corona-Crash.

Der Corona-Crash und die wundersame Wende

Schon Ende Januar wurde langsam klar: Da kommt etwas auf uns zu, was wir so noch nicht erlebt haben. Das bedeutet: Unsicherheit. Und genau das mögen Anleger natürlich nicht, auch, wenn es – eigentlich – ihr tägliches Geschäft ist. Daher wunderte es nicht wirklich, dass man erst einmal so tat, als seien die Warnungen vor Corona völlig überzogen und die Sache nur eine kleine Panik-Blase. Erst als man realisierte, dass „die Welt schließt“, brach allgemeine Panik aus. Später als es rational zu erwarten war … dann aber, siehe auch Beispiel 1, wieder alle auf einmal. Ergebnis:

Ein Crash. Hinzu kam ein weiterer Faktor: Die Nachrichtenlage war nicht klar, sondern unübersichtlich. Die Folge: Keiner wusste da Genaues, viele glaubten aber, andere könnten mehr wissen. Daher neigten nicht wenige Anleger dazu, starken Impulsen blind zu folgen, rauf wie runter, weil: Da könnte ja wer am Werk sein, der weiß, was er/sie tut. Was da meist nicht der Fall war. Und auch in anderen Phasen übrigens eher nicht.

Börse aktuell: Entwicklung DAX im Jahr 2020 - Reaktionen im Zeitraum von Corona | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung DAX im Jahr 2020 – Reaktionen im Zeitraum von Corona | Quelle: marketmaker pp4

Und dann griff der tendenziell übliche Ablauf: Erst nahmen die Bären Gewinne mit. Das zog die Kurse höher. Viele dachten: „Da weiß wer was“ und hielten mit. Und dann wurde die Rallye der Aktienmärkte so etwas wie das für alle sichtbare Symbol der Hoffnung. Erst, als den Käufern langsam Geld und Puste ausgingen und dann, Richtung Herbst, immer noch keine Fakten die Hoffnungen ablösten, drohte die Sache zu kippen. Oder besser: Sie kippte tatsächlich, denn da wurde dann ein Topp vollendet und die 200-Tage-Linie wieder unterboten. Und immer wieder hätte man sich, wenn man sich rein auf die Nachrichtenlage reduziert, fragen können: Warum ausgerechnet jetzt?

Nur diese Rettung vor der nächsten Baisse-Welle Anfang November 2020, die hatte dann unmittelbare „News“ als Auslöser: Die Meldung über die ersten, fertigen Impfstoffe und dann, nur Tage später, die US-Wahl, bei der Donald Trumps Niederlage die Hoffnung auslöste, dass die Misere jetzt schneller ein Ende finden werde. Aber dass Nachrichten und Kursreaktion so eng miteinander korrelieren, das ist eben eher die Ausnahme als die Regel.

Eine Wende kann aus verschiedenen Gründen und letztlich jederzeit entstehen, also …

Wann was den Markt dominiert, ob es die Emotionen, die Mechanik der Märkte oder wirklich blanke Fakten sind … wie groß die Reaktionen der Kurse dann ausfallen … ob es zu einer Auf- oder Abwärtswende reicht oder nicht …. und wie weit die dann zeitlich von den eigentlichen Argumenten einer Wende entfernt sind: All das kann man definitiv nicht vorhersagen. Alleine, weil da der emotionale Aspekt mit hineinspielt, kann man da jedes Rechenmodell vergessen.

Denken Sie dazu nur an 2008 zurück. Dass die Subprime-Blase platzen würde, war klar, denn als die Aktienmärkte im Januar 2008 auf einmal kippten, war dieser Prozess längst im Gange. Dass das die Weltwirtschaft extrem unter Druck setzen würde, konnte jeder wissen, der es wissen wollte. Aber das was damals eben der Punkt: Fast niemand wollte das wissen. Man schaute weg, hoffte, dass sich das schon irgendwie von alleine regeln würde und blieb investiert. Und je länger alle wegschauten, desto stabiler wurden die Märkte. Es ging zwar nichts mehr nach oben, aber nach unten eben auch nicht. Also dachten immer mehr: Der Markt kann gar nicht mehr drehen. Aber doch, er konnte – und wie.

Börse aktuell: Entwicklung DAX von 2007 bis 2008 - Die Subprime-Blase und ihre Auswirkungen | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung DAX von 2007 bis 2008 – Die Subprime-Blase und ihre Auswirkungen | Quelle: marketmaker pp4

Aber natürlich kam dann im Januar 2008 die Frage auf: Warum denn ausgerechnet jetzt? Das hätte man sich übrigens im März 2009 auch in Bezug auf die Aufwärtswende fragen können. Warum gerade da und nicht vorher? In beiden Fällen waren die Argumente für die Baisse und danach, in Form einer gezielten Flutung mit Liquidität, für die Aufwärtswende, längst da. Aber das ist es eben: Die Fakten alleine müssen noch lange nichts bewegen. Es kommen meist mehrere Aspekte zusammen. Emotionen, Nachrichten und ein Ungleichgewicht bei Angebot und Nachfrage. Nicht zwingend alle drei, selten nur einer.

Es hilft, da mit einem Spiegel zu arbeiten, den man sich selbst vorhält. Ich reagiere doch auch nicht permanent rational. Ich setze doch nicht jede neue Nachricht objektiv in Käufe oder Verkäufe um. Ich bin doch parallel zu meiner Trendausrichtung im Depot auch parteiisch, wenn es um die Interpretation oder auch nur die Beachtung von neuen Informationen geht. Warum sollten andere Menschen, egal ob Kleinanleger oder Hedgefonds-Manager, anders sein und anders handeln?

Fazit: Folgen Sie dem Trend.

Die Kurse sind letzten Endes immer nur das Ergebnis aus dem Saldo der Aktionen der Käufer und Verkäufer, die meist irrational handeln. Also ist alles möglich … und eine streng nach der Nachrichtenlage entstehende Wende schlicht nicht besonders wahrscheinlich. Was tun?

Da steht am Ende der Rat, den man immer geben kann bzw. muss: Folgen Sie konsequent den Kursen und damit dem Trend. Er ist das Ergebnis dessen, was die Gesamtheit der Marktteilnehmer im Saldo gerade tut. Warum sie es tun, werden Sie nicht herausfinden, unnötig ist es obendrein, denn was einer heute für richtig hält, kann er morgen für falsch halten. Wann und warum die Mehrheit etwas tut, ist noch schwerer zu ermessen. Warum also nicht einfach dem Trend folgen, immerhin macht man an der Börse keine Gewinne, weil man eigentlich recht hätte. Man muss auch recht bekommen. Und das holt man sich, indem man dem Trend folgt und damit auf der richtigen Seite unterwegs ist.

Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!

Ihr

Ronald Gehrt

Sofern nicht anders angegeben, beabsichtigen wir nicht, diesen Artikel zu aktualisieren. In Zukunft können aber Analysen zum selben Finanzinstrument veröffentlicht werden.
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Nach dem Abitur 1984 studierte der gebürtige Hamburger an der Universität der Bundeswehr Betriebswirtschaftslehre. Im Anschluss an seine Dienstzeit als Offizier begann seine Zeit als Analyst und Finanzjournalist. Seit 1996 war und ist er als Redakteur, Referent und Kolumnist in zahlreichen Funktionen aktiv, seit 2016 ist er unter anderem Analyst bei LYNX. Gehrt ist ein Allrounder, der in der fundamentalen, d.h. volks- und betriebswirtschaftlichen Analyse ebenso sattelfest agiert wie in den verschiedenen Disziplinen der Technischen Analyse wie Chart- und Markttechnik und Sentinentanalyse.


Börse aktuell: DAX, Dow Jones und Co.

Die heutigen Top-News und Börsenmeldungen zum DAX und der Börse USA mit dem Dow Jones, dem Nasdaq und dem S&P 500 als weltweit einflussreiche Indizes bilden einen Schwerpunkt unserer aktuellen Berichterstattung von der Börse. Auch gute Aktien, die momentan sehr stark im Fokus der Anleger stehen und steigende Börsenkurse prophezeien, werden wir Ihnen hier vorstellen. So bekommen Sie einen umfassenden Börsenausblick und können Ihre eigenen Börsenprognosen verifizieren oder falsifizieren.

Börse: Aktuelle Entwicklung und Trends

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Börse: Aktuelle Tipps zum Marktgeschehen

Neben Börsennews bekommen Sie auch hilfreiche Tipps, um das gegenwärtige Marktgeschehen besser zu interpretieren. Der Börsenmarkt setzt sich aus vielen verschiedenen Märkten zusammen. Jedes Land, jede Branche und jedes Finanzprodukt wird von individuellen Faktoren beeinflusst, sodass es schwierig ist, alle Märkte mit ihren jetzigen Chancen und Risiken zu verfolgen und zu analysieren. Mit Börse aktuell liefert Ihnen unser Börsenprofi die Börseninformationen, die wirklich wichtig sind, und zugleich eine kompakte Börsenvorschau der Woche.

Börse aktuell: Die letzten Nachrichten

Gültigkeit der Analyse: 1 Woche
Erwartung: Neutral
Sofern nicht anders angegeben, beabsichtigen wir nicht, diesen Artikel zu aktualisieren. In Zukunft können aber Analysen zum selben Finanzinstrument veröffentlicht werden.

Stoppkurse und vor allem Stop Loss-Absicherungen sind ein wenig wie Sicherheitsgurte, haben aber einen Haken: Sie lösen bisweilen auch aus, wenn sich danach herausstellt, dass es nicht um Kopf und Kragen gegangen wäre. Kein Wunder also, dass viele Anleger glauben, ohne diesen „Sicherheitsgurt“ besser zu fahren. Aber geht man die Sache richtig an, nutzen sie eben doch deutlich mehr als sie schaden.

Der Markt wird riskanter und/oder unruhiger. Man setzt sicherheitshalber eine Stop Loss-Verkaufsorder, denn man weiß ja nie. Zumal ja auch etwas Dramatisches passieren könnte, wenn man gerade nicht hinschaut. Dann greift der Stop Loss, man ist raus aus der Position … und Minuten später drehen die Kurse wieder. Man steht ohne Position da und muss zuschauen, wie andere erleichtert aufatmen, weil sie dabeigeblieben sind und wird genötigt, ggf. deutlich teurer wieder einzusteigen. Ein solches Erlebnis hatte wohl schon fast jeder. Und ja, in solchen Fällen sind Stoppkurse oder Stop Loss-Verkaufsorders ein Ärgernis und wirken nicht wie eine Absicherung, sondern wie ein Groschengrab. Wenn einem das zwei-, dreimal nacheinander passiert, mal sowieso.

Aber so denken nur Anleger, denen ein Stop Loss nicht schon einmal ihr Investmentkapital gerettet hat. Das Problem, übrigens wieder eine Parallele zum Sicherheitsgurt: Solche extremen Situationen, in denen ein Stoppkurs zum Retter wird, sind eben selten. Aber hat man eine solche Situation schon einmal erlebt, hadert man nach einigen im Nachhinein ärgerlichen Verkäufen wegen Stoppkursen nicht mit diesen an sich, sondern bestenfalls damit, wie man sie gesetzt hat. Und da kann man einiges tun, um die Fehlerquote zu senken. Dazu gleich, zunächst ein kurzer Exkurs:

Börse aktuell: Entwicklung BASF Aktie von 2023 bis 2025 mit Schlüsselunterstützung | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung BASF Aktie von 2023 bis 2025 mit Schlüsselunterstützung | Quelle: marketmaker pp4

Exkurs: Stoppkurse und Stop Loss-Verkaufsorders: Was ist der Unterschied?

Ein „normaler“ Stoppkurs ist einer, den man im Kopf hat. Man betrachtet sich das Chartbild einer Position und entscheidet, dass man unter einem Kurs von X … in der Regel angebunden an eine Trendlinie, eine horizontale Unterstützung oder einen gleitenden Durchschnitt … die Position verkaufen wird, weil dann der Aufwärtstrend gebrochen ist und größere Abgaben wahrscheinlich werden. Um denen zu entgehen, legt man sich im Geiste einen Stoppkurs zurecht und steigt aus, wenn er erreicht bzw. unterboten wird. Oder auch nicht … weil mancher sich in dem Moment, in dem es darum geht, eine Position zu schließen und dabei womöglich einen Verlust realisieren zu müssen, an jeden Strohhalm klammert und mit einem „ach was, das wird schon wieder“ investiert bleibt. Was nicht immer, aber doch oft genug alles noch schlimmer macht. Oft genug, um eher zu der Variante der Stop Loss-Verkaufsorder zu neigen.

Bei einer Stop Loss-Verkaufsorder handelt man schon, bevor es brennt, aber mit Blick auf den Fall, dass es dazu kommen könnte. Und zwar, indem man bereits im Vorfeld, oft schon direkt nach dem Kauf, eine Verkaufsorder eingibt, die die Position automatisch bei Erreichen des angegebenen Kurses verkauft. Was den Vorteil hat, dass man wirklich aussteigt und nicht durch eigenes Zaudern bei nur im Kopf vorhandenen Stoppkursen in die Bredouille kommt. Wobei man solche Orders natürlich immer und jederzeit nach Belieben anpassen oder auch wieder streichen kann.

Das klingt alles irgendwie einfach und sinnvoll. Wie also könnten solche Absicherungen zu einem und Ärgernis werden?

Börse aktuell: Entwicklung Verisign Aktie von 2024 bis 2025 - nachgezogene Stops | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung Verisign Aktie von 2024 bis 2025 – nachgezogene Stops | Quelle: marketmaker pp4

Das Problem sind nicht die Stoppkurse selbst, sondern dass an der Börse nichts „sicher“ ist

Das Dumme an der Börse ist: Es handelt sich hier nicht um eine „exakte Wissenschaft“. Wenn X eintritt, kann das oft zu Y führen, manchmal kommt aber auch Z heraus. Was z.B. bedeutet, dass ein Anlauf an eine wichtige Unterstützung, die sich schon mehrfach als solche bewährt hat, zwar zweifellos von allen Marktteilnehmern wahrgenommen wird. Aber ob dann so viele aussteigen, dass diese Unterstützung bricht und der Kurs danach so weit fällt, dass es lohnt, im Fall eines Unterschreitens zu verkaufen, kann man nie sicher wissen. So könnten genau in diesem Moment Nachrichten kommen, die Käufe auslösen, so dass der Bruch der Unterstützungslinie als Bärenfalle endet. Und das könnte auch passieren, wenn bärische Anleger den durch den Bruch des Supports ausgelösten Verkaufsdruck nutzen, um ihre Gewinne mitzunehmen, wodurch der Kurs dann alleine deswegen wieder steigt. Man weiß es eben nie sicher. Was man indes weiß:

Wenn es weiter abwärts geht, wäre man froh gewesen, verkauft zu haben. Je länger man dann nichts tut, desto schwerer fällt es, doch noch zu verkaufen, weil dann immer der Spruch im Kopf auftaucht: „Naja, jetzt hat es auch keinen Zweck mehr“. Viele Anleger mit kurzfristigen Gewinnzielen haben sich da dann auf einmal zu langfristigen Investoren erklärt und sind lange Wege in einem Abwärtstrend investiert geblieben. Nicht wenige kaufen dann sogar oft noch zu, um den „Einstandskurs zu verbilligen“ und werden dadurch gutes Geld schlechtem hinterher. Was aber ein anderes Thema ist.

Was als Eindruck bleibt: Wenn man ein paarmal unnötig ausgestoppt wurde, beginnt man der Sache zu misstrauen. Und wenn es dann wirklich entscheidend würde, hat man keine Absicherung, „weil’s doch eh nur Geld kostet und nichts bringt“.

Aber weil eine Situation, in der Stoppkurse bzw. Stop Loss-Verkaufsorders als Absicherung wirklich entscheidend wären, absolut jederzeit eintreten kann und nicht nur, wenn sich schon monatelang dunkle Wolken über den Märkten gebildet haben, sollte man ernsthaft daran denken, den Status eines „Stop-Loss-Abstinenzlers“ aufzugeben und sich lieber überlegen, wie man es anstellen könnte, die Fehlerquote zu senken. Denn da ließe sich einiges tun. Wobei das schon früher, bei grundsätzlichen Aspekten beginnt, nämlich damit, wie man Positionen am sinnvollsten eingeht.

Börse aktuell: Entwicklung Hang Seng China Enterprises Index von 2024 bis 2025 - Mögliche Einstiegspunkte | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung Hang Seng China Enterprises Index von 2024 bis 2025 – Mögliche Einstiegspunkte | Quelle: marketmaker pp4

An Unterstützungen Long, an Widerständen Short … und nie „hinterherlaufen“!

Schlüsselmarken für eine Situation, in der man aussteigen sollte, sind immer: Unterstützungslinien auf Basis vorheriger Wendemarken (bzw., wenn es um die Short-Seite gehen würde, Widerstandslinien), Trendlinien, gleitende Durchschnitte oder Nackenlinien von potenziellen Trendwendeformationen. Das sind zugleich Chartmarken, an denen es vorher sinnvoll war, zu kaufen:

Die Verteidigung einer Aufwärtstrendlinie, eines gleitenden Durchschnitts oder eines vorherigen Hochs oder Tiefs? Eine mögliche gute Einstiegsgelegenheit.

Neue Hochs in einer schon wochenlang laufenden Rallye bei längst überhitzter Markttechnik und meilenweit weg von den entscheidenden Unterstützungen? Das sind potenziell schlechte Kaufzeitpunkte.

Erstens, weil man da vor allem von der Angst getrieben wird, etwas zu verpassen. Zweitens, weil man dann davon ausgehen muss, dass schon sehr viele eingestiegen sind und der Aktie, dem Index oder was auch immer man da im Auge hat, die Käufer ausgehen können. Und drittens, vor allem: Weil dann die Entfernung zu logischen Punkten, unter die man seinen Stoppkurs legen bzw. die Stop Loss-Verkaufsorder eingeben könnte, meilenweit entfernt sind!

Was dann bisweilen sogar dazu führt, dass man seinen Stopp einfach prozentual ansetzt (mehr als zehn Prozent will ich nicht riskieren) oder sich eine solche Entscheidung für später aufspart (und sie dann nicht trifft). Das kann nicht funktionieren. Prozentuale Stopps in Ihrer Position interessieren den Rest der Marktteilnehmer ja keinen Deut. Ein Stopp muss aber unter einem Punkt liegen, wo es für alle sichtbar um die Wurst geht, sprich wo sich wirklich etwas entscheidet. Was übrigens auch für sogenannte „Trailing Stopps“ gilt, das sind Stop Loss-Verkaufsorders, die automatisch nachlaufen, indem sie einen gewissen Abstand zum Kurs haben und dann auf diesen Abstand nachgezogen werden, wenn der Kurs ein neues Hoch markiert. Solche Stopps würden nur etwas taugen, wenn ein Kurs schön berechenbar im gleichen Tempo wie ein Strich steigt. Tut er aber nie.

Stop Loss gehören dorthin, wo Schlüsselmarken liegen. Und man sollte auch dort kaufen. Was dazu führt, dass man seinen Stoppkurs/Stop Loss angenehm eng legen kann. Und dann tut auch ein Fehlsignal nicht wirklich weh, weil diese Stopps so eng liegen, dass man nicht gleich am Bettelstab endet, wenn zwei, drei solcher (im Nachhinein, in dem Moment weiß man das ja nicht) unnötig ausgelöster Stopp-Verkäufe aufeinander folgen. Außerdem kann man dann relativ zeitnah wieder einsteigen: eine Aktie, die einen wichtigen Unterstützungspunkt nur kurz unterboten hat und ihn dann doch wieder zurückerobert, ist eben immer noch nahe an der Schlüsselmarke.

Börse aktuell: Entwicklung Nvidia Aktie von 2023 bis 2025 - kaum brauchbare Einstiegspunkte | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung Nvidia Aktie von 2023 bis 2025 – kaum brauchbare Einstiegspunkte | Quelle: marketmaker pp4

Die Börse bietet jeden Tag gute Gelegenheiten … man muss sich nur umschauen

Das Problem liegt also oft weniger bei den Stoppkursen selbst als in der Art und Weise, in der man einsteigt. Einfach „irgendwo“ auf charttechnisch freier Flur zu kaufen ist nie gut und man kann da dann keinen vernünftigen, eng liegenden Stop Loss setzen. Aber was, wurde mir schon mal als Argument entgegengehalten, wenn die Aktie, die man haben will, zwar schon weit gelaufen ist, aber man gerade jetzt das Geld zum Einstieg hat?

Das war damals ernst gemeint … und ich sehe ja am Verhalten der Märkte, dass derjenige, der das sagte, nicht der Einzige ist, der so denkt. Nun, manchem mag mein Vorschlag verrückt erscheinen, aber ich würde dann dazu raten, das Geld entweder so lange auf dem Konto zu lassen, bis die Aktie, die man haben will, eine bessere, charttechnische Einstiegsbasis bietet, z.B. eine Korrektur. Oder man sucht sich einfach etwas anderes, das gerade in diesem Moment ein bullisches Signal mit der Möglichkeit eines angenehm engen Stoppkurses bietet. Denn wenn ein Anleger eines als allererstes lernen sollte, dann dies:

Es gibt an der Börse kein „genau jetzt oder nie mehr“. Gab es nie, wird es nie geben. Jeden, absolut jeden Tag tauchen Gelegenheiten für Trades mit einem guten Chance-/Risiko-Verhältnis auf. Vielleicht nicht da, wo man gerade hinsieht. Aber da, wo man genauso hinsehen könnte, wenn man die Augen offenhält. Der Markt ist gigantisch und überall rührt sich etwas. Da gibt es keinen Grund, „alten“ Rallyes hinterherzulaufen und zu weite oder gleich gar keine Stoppkurse zu setzen.

Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!

Ihr

Ronald Gehrt

Über den Autor

Nach dem Abitur 1984 studierte der gebürtige Hamburger an der Universität der Bundeswehr Betriebswirtschaftslehre. Im Anschluss an seine Dienstzeit als Offizier begann seine Zeit als Analyst und Finanzjournalist. Seit 1996 war und ist er als Redakteur, Referent und Kolumnist in zahlreichen Funktionen aktiv, seit 2016 ist er unter anderem Analyst bei LYNX. Gehrt ist ein Allrounder, der in der fundamentalen, d.h. volks- und betriebswirtschaftlichen Analyse ebenso sattelfest agiert wie in den verschiedenen Disziplinen der Technischen Analyse wie Chart- und Markttechnik und Sentinentanalyse.

Analysemethode

Die Analysen von Ronald Gehrt basieren auf einer Kombination fundamentaler Fakten und Daten mit der aktuellen chart- und markttechnischen Situation des/der hier vorgestellten Index/Rohstoffs/Währungspaars/Aktie. Bilanz- und Konjunkturdaten sowie wirtschafts- und finanzpolitische Fakten, Nachrichten und/oder Statements werden als Grundlage zur Beurteilung der charttechnischen und markttechnischen Perspektive des untersuchten Werts analysiert.

Gültigkeit der Analyse: 1 Woche
Erwartung: Neutral
Sofern nicht anders angegeben, beabsichtigen wir nicht, diesen Artikel zu aktualisieren. In Zukunft können aber Analysen zum selben Finanzinstrument veröffentlicht werden.

Es scheint, immens viele Marktteilnehmer warten mit Spannung auf den Mittwochabend, wenn die US-Notenbank ihre Zinsentscheidung bekanntgeben wird. Aber wieso eigentlich? Zum einen ist mittlerweile hochwahrscheinlich, dass es zu einer Zinssenkung kommen wird. Zum anderen sind die Gründe dafür jedermann bekannt. Und vor allem: Was glaubt man denn, was eine Leitzinssenkung an der Gesamtsituation ändern würde?

Die US-Inflation ist mit 2,9 Prozent immer noch zu hoch. Aber immerhin ist der große Sprung als Folge der hohen Einfuhrzölle ausgeblieben. Bis jetzt zumindest, denn klar muss sein: Das wirkt mit Zeitverzögerung. Und wie groß die ausfällt, sprich ab wann wirklich nichts mehr zu befürchten wäre, ist schlicht nicht vorhersagbar. Daher hätte die US-Notenbank gute Gründe, den nach bislang nur zwei Senkungen um je 0,5 Prozent immer noch restriktiven Zinslevel nicht zu verändern. Wenn da nicht der Arbeitsmarkt wäre.

Der US-Arbeitsmarkt zwingt die „Fed“ zum Handeln

Die übliche Revision bisher gemeldeter Daten zu den neu geschaffenen Arbeitsplätzen ergab diesmal eine herbe Korrektur: Etwa die Hälfte der zwischen April 2024 und März 2025 gemeldeten, neuen Jobs gibt es gar nicht – über 900.000 gemeldete Stellen wurden im Licht genauerer Daten jetzt wieder aus der Statistik gestrichen. Ein weiterer Stein im Brett meiner über Jahre gebetsmühlenartig wiederholten Warnung, diese US-Arbeitsmarktdaten zu hoch zu hängen: Weil sie einfach aufgrund der Systematik ihrer Erhebung zum Niederknien ungenau sind.

Die Daten für Juli und August wahren ohnehin schwach, der Challenger-Report deutet einen steigenden Stellenabbau an und die am Donnerstag vorgelegten, die vorangegangene Kalenderwoche beleuchtenden Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe lagen unerwartet hoch, zuletzt hatte man eine solche Zahl von 263.000 Erstanträgen in einer Woche Anfang 2022 gesehen. Und das wiegt schwerer als eine Inflation, die zwar noch zu hoch ist und wieder steigen könnte, aber eben nicht muss. Mit dem Arbeitsmarkt hat die „Fed“, sprich die US-Notenbank, ein eindeutig aktuelleres Problem.

Das Haarige an der Sache ist das Problem des „Time Lags“. Nicht nur wirken die Zölle mit Zeitverzögerung auf die Preise, Veränderungen der Rahmenbedingungen wirken auch erst mit großer Zeitverzögerung auf den Arbeitsmarkt, denn Unternehmen treffen nennenswerte Personalentscheidungen erst, wenn sie absehen können, ob eine Entwicklung zum Positiven oder Negativen von Dauer ist. Das zieht sich, das „Feuern“ oder „Anheuern“ von Personal dann auch noch einmal. Da können zwischen der Ursache in der Konjunktur und der Wirkung am Arbeitsmarkt ein bis zwei Quartale liegen. Was auch bedeutet: Was aktuell in der Konjunktur passiert, wird erst im Winter oder Frühjahr in den Arbeitsmarktdaten sichtbar, sofern die dann genau genug wären, um egal was aufzuzeigen. Die „Fed“ müsste also Hellsehen können, um sicher sein zu können, dass sie im Hier und Jetzt etwas tut, das sich in ein oder zwei Quartalen dann als richtig erweist.

Am US-Anleihemarkt bleibt man skeptisch

Bei der US-Notenbank ist man sich dieser Problematik natürlich bewusst. Und auch am US-Anleihemarkt weiß man das, weshalb die Renditen der US-Staatsanleihen derzeit nicht, wie man es eigentlich angesichts der hohen Wahrscheinlichkeit, dass die „Fed“ ihre Leitzinssenkungen wieder aufnimmt erwarten könnte, deutlich sinken. Man ist skeptisch und vorsichtig, weil in dieser unklaren Zukunft zwei Elemente die Zinspolitik beeinflussen werden: die Inflation und der Arbeitsmarkt. Und zögen die Preise doch noch kräftiger an, müsste die „Fed“ die Zinssenkungen sofort wieder stoppen, im schlimmsten Fall sogar zurücknehmen. Kein Wunder, dass man bei den Bond-Händlern Skepsis sieht, die sich in nur zögerlich nachgebenden Anleihe-Renditen niederschlägt.

Börse aktuell: Entwicklung US-Leitzins und Rendite von US-Staatsanleihen mit 10 Jahren Laufzeit von 1998 bis 2025 im Vergleich | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung US-Leitzins und Rendite von US-Staatsanleihen mit 10 Jahren Laufzeit von 1998 bis 2025 im Vergleich | Quelle: marketmaker pp4

Am US-Aktienmarkt hingegen laufen die Kurse von einem Rekord zum nächsten. Nicht unbedingt rasant, aber doch verblüffend stetig. „Zinssenkungen sind immer bullisch“, diese Faustregel wird zum Mantra vieler Anleger. Aber damit liegt man normalerweise eher schief, zumindest, was die Konjunktur angeht. Und das ist auch durchaus logisch, denn:

Veränderungen beim Leitzins wirken nie sofort … und manchmal sogar gar nicht

Sinkende Zinsen sollen Probleme lösen helfen, aber das funktioniert nie sofort und manchmal auch gar nicht. Dass das Wachstum gemeinhin nicht einfach aus dem Stand davonzieht, kaum dass die Leitzinsen gesenkt werden, zeigt die folgende Grafik, die US-Leitzins und US-Wachstum über die letzten 30 Jahre abbildet.

Börse aktuell: Entwicklung US-Leitzins und Jahresrate der Veränderung des US-Bruttoinlandsprodukts von 1994 bis 2025 im Vergleich | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung US-Leitzins und Jahresrate der Veränderung des US-Bruttoinlandsprodukts von 1994 bis 2025 im Vergleich | Quelle: marketmaker pp4

Da sehen wir, dass die US-Notenbank den Leitzins gemeinhin dann gesenkt hat, wenn das Wachstum stark nachgelassen hatte. Was es auch derzeit mit einer Jahresveränderung von 2,0 Prozent auf Basis der neuesten, das zweite Quartal beleuchtenden Daten tut. D. h. man versucht, ein negatives Gesamtumfeld durch günstigere Zinsen zu stützen, im Idealfall ins Positive zu verkehren. Doch damit das auch gelingt, müssen mehrere Voraussetzungen erfüllt sein.

Erstens müssten Kredite für Verbraucher und Unternehmen wirklich spürbar billiger geworden sein und man vermuten dürfen, dass es allzu viel billiger nicht mehr wird. Erst dann würden niedrigere Kreditkosten die Investitionen und den Konsum nennenswert befeuern können. Denn wer würde bei einer Zinssenkung um ein halbes Prozent, die kaum mehr als zehn Prozent des Leitzinses ausmacht, sofort größere Summen aufnehmen, um zu investieren oder größere Anschaffungen vorzunehmen, wenn beim Zins noch Luft nach unten bleibt? Nein, man pflegt zu warten, bis es wirklich billiger ist. Daher sehen wir in der Grafik oben und in mehreren Fällen auch beim Vergleichschart für die Eurozone, dass das Wachstum erst wieder Fahrt aufnahm, als die Zinsen nahe ihrem Tief waren. Die beiden unten zu sehenden Ausnahmen heben diese Grundregel keineswegs auf. Und zweitens?

Börse aktuell: Entwicklung Leitzins der EZB und Jahresrate der Veränderung des Bruttoinlandsprodukts der Eurozone von 1999 bis 2025 im Vergleich | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung Leitzins der EZB und Jahresrate der Veränderung des Bruttoinlandsprodukts der Eurozone von 1999 bis 2025 im Vergleich | Quelle: marketmaker pp4

Zweitens helfen auch niedrigere Leitzinsen und günstiger gewordene Zinssätze für Immobilien- und Ratenkredite nichts, wenn diejenigen, die investieren oder konsumieren sollen, Zweifel haben, dass das Gesamtumfeld für solche Kredite geeignet ist. Wenn man fürchten muss, dass die Gesamtsituation trotzdem eher schlechter als besser wird, wird man diese potenzielle Stütze für das Wachstum nicht nutzen und im Gegenteil lieber zusehen, bestehende Verbindlichkeiten abzubauen, um im Fall einer Verschärfung der Lage weniger verwundbar zu sein.

Und wenn wir uns ansehen, wie sich die Lage in den USA derzeit darstellt … und wie schwach Einkaufsmanagerindizes oder Verbrauchervertrauen derzeit sind … dürften nicht gerade wenige jetzt eher vorsichtig agieren. Da müsste der Leitzins schon wieder in Richtung „Nullzinspolitik“ laufen, damit wirklich viele ihre Bedenken fallen lassen.

Risiken zu ignorieren geht meist dramatisch schief. Aber bis es soweit ist … geht es eben gut!

Dass es zahlreiche Gründe gibt, warum man sich aufs Glatteis begeben würde, wenn man die vermutliche Wiederaufnahme der Leitzinssenkungen am Mittwoch als Allheilmittel und „Booster“ für immer neue Aktienmarkt-Rekorde ansehen wollte, kann man kaum übersehen … es sei denn, man will es. Aber wir wissen ja: Anleger sehen eigentlich immer nur das, was sie sehen wollen. Immerhin reden wir hier von Menschen … und warum sollten sich die als Anleger anders verhalten als im normalen Leben!

Was man momentan offenbar mehrheitlich ignoriert, ist u.a. die teure Bewertung der meisten US-Indizes. Und dass sie deswegen so teuer sind, weil viele Akteure zwar diejenigen Branchen meiden, die zeigen, dass mit der US-Konjunktur derzeit einiges nicht stimmt. So z. B. scheint auch kaum jemand die eigentlich bekannte Warnfunktion einer negativen Divergenz des Dow Jones Transportation-Index zum Gesamtmarkt sehen zu wollen. Die Logistik- und Beförderungsunternehmen laufen nicht gut, was klar macht, dass das Wachstum auf tönernen Füßen steht. Und nicht nur das:

Börse aktuell: Entwicklung Dow Jones Transportation Index und Nasdaq 100 von 2020 bis 2025 im Vergleich | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung Dow Jones Transportation Index und Nasdaq 100 von 2020 bis 2025 im Vergleich | Quelle: marketmaker pp4

Ein nicht unwesentlicher Teil des zuletzt eher überschaubaren Wachstums der Gesamtwirtschaftsleistung basiert auf massiven Investitionen von Unternehmen in den Bereich KI, wobei das auf Dauer nur dann gutgeht, wenn man die KI in der Breite „monetarisieren“ kann, indem man sie Leuten z.B. als Abonnements verkauft, die sich schon heute kaum noch etwas leisten können. Das ist schon ziemlich gewagt, das alles.

Ist die Hausse der US-Indizes also ein Tanz auf dem Vulkan und der Glaube, eine Leitzinssenkung würde alles richten, eine Schimäre? Auf jeden Fall. Aber heißt das, dass eine Baisse, vielleicht gar ein Crash, unmittelbar vor der Tür steht? Nein.

Denn es sind ja nicht die wirtschaftlichen Fakten, die die Kurse leiten und Trends aufrechterhalten, sondern die Anleger. Und solange die weiterhin glauben wollen, was ihnen ins Konzept passt und alles andere ausblenden, wird weiter Geld in den Markt fließen und ihn so stützen, im Idealfall höher tragen.

Der „Tag X“, an dem zu viele auf einmal aussteigen und kippende Kurse die rosa Brille von den Nasen der Blauäugigen stoßen, wird zwar kommen. Aber bis zu diesem Tag bleibt die Hausse eben erhalten und Short die deutlich riskantere Seite. Wichtig ist nur eines:

Im Gegensatz zu einer offenbar sukzessiv wachsenden Zahl an Anlegern muss man sich darüber im Klaren sein, dass es eine ewige Hausse nicht gibt. Wer das weiß, ist gewappnet. Und wer gewappnet ist, muss nicht einmal einen „Sudden Death“ der Hausse fürchten. Vernünftige, sukzessiv nachgezogene, sprich „gepflegte“ Absicherungen über Stop Loss-Verkaufsorders nehmen einem keine Gewinne … aber sie helfen, Verluste zu reduzieren oder gar zu vermeiden, wenn es unverhofft ruppig wird.

Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!

Ihr

Ronald Gehrt

Über den Autor

Nach dem Abitur 1984 studierte der gebürtige Hamburger an der Universität der Bundeswehr Betriebswirtschaftslehre. Im Anschluss an seine Dienstzeit als Offizier begann seine Zeit als Analyst und Finanzjournalist. Seit 1996 war und ist er als Redakteur, Referent und Kolumnist in zahlreichen Funktionen aktiv, seit 2016 ist er unter anderem Analyst bei LYNX. Gehrt ist ein Allrounder, der in der fundamentalen, d.h. volks- und betriebswirtschaftlichen Analyse ebenso sattelfest agiert wie in den verschiedenen Disziplinen der Technischen Analyse wie Chart- und Markttechnik und Sentinentanalyse.

Analysemethode

Die Analysen von Ronald Gehrt basieren auf einer Kombination fundamentaler Fakten und Daten mit der aktuellen chart- und markttechnischen Situation des/der hier vorgestellten Index/Rohstoffs/Währungspaars/Aktie. Bilanz- und Konjunkturdaten sowie wirtschafts- und finanzpolitische Fakten, Nachrichten und/oder Statements werden als Grundlage zur Beurteilung der charttechnischen und markttechnischen Perspektive des untersuchten Werts analysiert.

Gültigkeit der Analyse: 1 Woche
Erwartung: Neutral
Sofern nicht anders angegeben, beabsichtigen wir nicht, diesen Artikel zu aktualisieren. In Zukunft können aber Analysen zum selben Finanzinstrument veröffentlicht werden.

Zwischen einem Ereignis und dessen Auswirkungen kann, gerade, wenn es um wirtschaftliche Aspekte, Preise und Käuferverhalten geht, eine recht lange Zeit liegen. Die große Aufregung über Donald Trumps Zollstrategie liegt Monate zurück, seither wirkt es, als hätte man die Sache an der Böse verarbeitet. Aber erledigt ist das Thema vermutlich keineswegs. Man hat nur den Ruf verdaut, nicht sein Echo!

Am Freitagabend nach US-Handelsende kam die Meldung, dass ein US-Berufungsgericht den Großteil der von Donald Trump verhängten Einfuhrzölle für nicht rechtens erklärt und untersagt habe. Unter anderem, weil die Notstände, mit denen er sich für solche Maßnahmen befugt erklärte (die eigentlich dem US-Kongress vorbehalten wären), nicht vorliegen. Letztlich ließe sich dazu nur lapidar sagen:

Wussten wir schon. Und es wird mit großer Wahrscheinlichkeit nichts ändern. Nicht mal ein bisschen. Weil der US-Präsident nicht der Ansicht ist, dass Gerichte ihm etwas vorschreiben können. Die Berufung wird vor dem Supreme Court landen, wo konservative Richter längst eine klare Mehrheit haben. Und selbst, wenn der gegen Trump entscheiden sollte: Er wird schon einen Weg finden, seinen Willen durchzusetzen. Zumal er ja laut eigener Darstellung nur das Beste will. Würde das Urteil wirklich umgesetzt, würde das „Amerika buchstäblich zerstören“, kommentierte er die Entwicklung. Wirklich? Vorher ging’s doch auch … und irgendwie besser.

Der Druck durch Trumps Zölle nimmt zu … und wird jeden Winkel erreichen

Caterpillar meldete vergangene Woche, dass man durch die von Mr. Trump etablierten Importzölle mit zusätzlichen Kosten zwischen 1,5 und 1,8 Milliarden US-Dollar alleine im laufenden Jahr rechnet. Walmart meldet wachsende Zurückhaltung bei den Kunden niedriger und mittlerer Einkommen. Und Kostendruck, weil man die durch die Zölle steigenden Preise nicht voll an die Käufer weitergeben kann. Home Depot spürt die Entwicklung, indem die Kundschaft größere Investitionen aufschiebt. Und die US-Chiphersteller müssen bei Exporten nach China – soweit sie dafür die Genehmigung bekommen – 15 Prozent des Umsatzes an die Regierung abliefern, was natürlich auf die Gewinne drückt.

Zugleich schreibt das US-Wirtschaftsmagazin „Fortune“, dass sich die Hälfte der US-Arbeitnehmer am Belastungslimit befindet, was der US-Wirtschaft über 400 Milliarden US-Dollar an Produktivitätsverlust beschert. Die US-Bank PNC hat ermittelt, dass 60 Prozent der US-Arbeitnehmer keine echten Ersparnisse haben und von einem Gehaltsscheck zum nächsten leben müssen. Und der Chef von Ford warnt laut „Fortune“, dass KI … von der OpenAI-Chef Altman mutmaßt, dass sich da eine Blase gebildet habe … mittelfristig die Hälfte aller Bürojobs vernichten wird.

Börse aktuell: Entwicklung Dow Jones und US-Verbrauchervertrauen von 2005 bis 2025 im Vergleich | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Börse aktuell: Entwicklung Dow Jones und US-Verbrauchervertrauen von 2005 bis 2025 im Vergleich | Quelle: marketmaker pp4

Wir hatten ohnehin ein Umfeld, das durch ausgebliebene, weil unpopuläre Reformen immer instabiler geworden war. Die Schere zwischen Arm und Reich wird größer. Und das Lager derer, die immer weniger haben, auch. Das ist hierzulande so, aber in den USA ist es noch drastischer. Und dass die Konsequenz Trumps „Big Beautiful Bill“ ist, dass die höchsten zehn Prozent der Einkommen deutlich entlastet werden, die niedrigsten zehn Prozent aber mehr zahlen müssen, wie das CBO, das Congressional Budget Office, Anfang August errechnet hat, wird das noch verschärfen. In diese Situation hinein sorgt Trumps Zollstrategie für zusätzlichen Druck.

Und eben nicht nur dort, wo Trump ihn verortet, nämlich im Ausland. Natürlich hat man dort erhebliche Sorgen. Nichts ist sicher und planbar, die Zölle gelten, die Importeure in den USA zögern und zaudern, weil sie nicht wissen, was an Importwaren dann noch zu welchen Margen verkäuflich wäre. Aber in den USA muss man jetzt ebenfalls um Arbeitsplätze bangen, weil die Planungssicherheit dahin ist:

Wen trifft die Reaktion aus den mit hohen Zöllen belasteten Ländern? Wann kommen die von Trump ausbedungenen Investitionen des Auslands … in welchen Bereichen und an welchem Ort? Und was kann man jetzt noch an Anschaffungen riskieren? Sollte man vorkaufen, bevor alles teurer wird? Oder läuft man damit in die Falle, weil der eigene Job womöglich unverhofft bald wegfällt? Die Bank of America hat bei einer Umfrage unter Kunden ermittelt, dass drei Viertel der potenziellen Hauskäufer mit fallenden Preisen und Zinsen rechnet und daher Kaufentscheidungen aufschiebt. Und das oben genannte CBO schätzt, dass mit Trumps Steuergesetz einhergehende Änderungen dazu führen, dass zehn Millionen US-Bürger in den kommenden Jahren ihre Krankenversicherung verlieren werden.

In ein solches Umfeld hinein ist Wachstum auf Dauer kaum drin. Denn die Vermögenden können, egal, wie viel sie noch kaufen, die Zurückhaltung der niedrigen und mittleren Einkommensschichten nicht ausgleichen.

Am US-Aktienmarkt tut man so, als wäre man in der besten aller Welten. Noch.

All das ist mit Händen zu greifen, doch die Investoren, so wirkt es zumindest, schauen an diesen Risiken einfach vorbei. Die regelmäßige Umfrage der Bank of America unter Fondsmanagern ergab zuletzt, dass 91 Prozent der befragten Geldverwalter US-Aktien für momentan überbewertet halten, der höchste Wert, der seit Beginn der Umfrage im Jahr 2001 gemessen wurde.

Börse aktuell: Entwicklung der Barreserven der US-Fonds in Prozent von 2000 bis 2025 | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Börse aktuell: Entwicklung der Barreserven der US-Fonds in Prozent von 2000 bis 2025 | Quelle: marketmaker pp4

Der US-Aktienmarkt läuft derweil von einem Rekord zum nächsten. Es scheint, als hätten die meisten Anleger den aus vorstehenden Daten zu ziehenden, logischen Schluss bislang nicht zuwege gebracht: Hier brennt längst die Lunte an einem Pulverfass immenser Größe. Denn auf Dauer sind die wirtschaftliche Realität und der Aktienmarkt nicht voneinander zu trennen.

Und nein, das Problem löst sich nicht, nur, weil Kredite im Fall von ein, zwei Leitzinssenkungen der US-Notenbank ein bisschen weniger teuer sind. Die US-Bürger sind im Schnitt sowieso schon zu hoch verschuldet. Und teuer wären solche Kredite für Häuser, Autos oder auch nur für den täglichen Bedarf danach eben – gegenüber früheren Jahren – trotzdem.

Zumal die Juli-Erzeugerpreise, die Mitte August gemeldet wurden, bereits andeuten, dass die Inflation wegen der markant höheren Kosten in vielen Bereichen erst noch Fahrt aufnimmt. Kommt es so, wäre es auch mit diesem ohnehin untauglichen Strohhalm Essig, denn dann müsste die „Fed“ Zinssenkungen umgehend stoppen.

Börse aktuell: Entwicklung der US-Erzeugerpreise von 2011 bis 2025 | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Börse aktuell: Entwicklung der US-Erzeugerpreise von 2011 bis 2025 | Quelle: marketmaker pp4

Probleme umgehend und konsequent angehen? Wird eher nicht passieren.

Hierzulande fordert eine erdrückende Mehrheit der Bürger grundlegende Reformen und glaubt zugleich nicht daran, dass die Regierung diese durchführen wird, wie eine Forsa-Umfrage im August ermittelte. In den USA sind die Stimmen, die fordern, dass diese Ein-Mann-Regierung mit ihren unsteten Entscheidungen ohne Rücksicht auf mögliche Nebenwirkungen zur Besinnung kommt, nur leise. Und selbst von denen, die da protestieren, dürfte kaum jemand ernsthaft glauben, dass hier in absehbarer Zeit Augenmaß und eine ruhige Hand das Ruder ergreifen würden.

Bis dahin wird unkoordiniert gekürzt und gespart, in anderen Bereichen Geld zum Fenster hinausgeworfen, derweil die Zolleinnahmen von oben in einen Staatssäckel fließen, der unten ein deutlich größeres Loch hat als oben. Mit Folgen, die sich eben nicht alleine auf die USA beschränken: Die US-Handels– und Wirtschaftspolitik betrifft letzten Endes auch die anderen Wirtschafsregionen … und das nirgendwo im positiven Sinn. Hier, am deutschen Aktienmarkt, dämmert es immer mehr Anlegern offenbar, wie dünn das Eis ist, auf dem sie stehen. In den USA aber scheint den aufziehenden Sturm kaum jemand zu bemerken. Der deswegen nicht ausbleiben dürfte. Eine „zweite Runde“ in Bezug auf die Konsequenzen der US-Zölle ist alles, nur nicht unwahrscheinlich.

Achten Sie daher vor allem auf die US-Aktienmärkte. Sie werden Dreh– und Angelpunkt für einen stürmischen Herbst, der denjenigen, die es verstehen, mit System und Konsequenz zu agieren, hoch lukrative Trades ermöglichen dürfte. Und mit den in den kommenden gut zwei Wochen anstehenden Daten vom Arbeitsmarkt, der Preisfront und dann am 17.9. mit der US-Notenbankentscheidung könnte der Sturm bereits seinen Anfang nehmen.

Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!

Ihr

Ronald Gehrt

Über den Autor

Nach dem Abitur 1984 studierte der gebürtige Hamburger an der Universität der Bundeswehr Betriebswirtschaftslehre. Im Anschluss an seine Dienstzeit als Offizier begann seine Zeit als Analyst und Finanzjournalist. Seit 1996 war und ist er als Redakteur, Referent und Kolumnist in zahlreichen Funktionen aktiv, seit 2016 ist er unter anderem Analyst bei LYNX. Gehrt ist ein Allrounder, der in der fundamentalen, d.h. volks- und betriebswirtschaftlichen Analyse ebenso sattelfest agiert wie in den verschiedenen Disziplinen der Technischen Analyse wie Chart- und Markttechnik und Sentinentanalyse.

Analysemethode

Die Analysen von Ronald Gehrt basieren auf einer Kombination fundamentaler Fakten und Daten mit der aktuellen chart- und markttechnischen Situation des/der hier vorgestellten Index/Rohstoffs/Währungspaars/Aktie. Bilanz- und Konjunkturdaten sowie wirtschafts- und finanzpolitische Fakten, Nachrichten und/oder Statements werden als Grundlage zur Beurteilung der charttechnischen und markttechnischen Perspektive des untersuchten Werts analysiert.

Gültigkeit der Analyse: 1 Woche
Erwartung: Neutral
Sofern nicht anders angegeben, beabsichtigen wir nicht, diesen Artikel zu aktualisieren. In Zukunft können aber Analysen zum selben Finanzinstrument veröffentlicht werden.

Die Aktienmärkte insgesamt sind derzeit ungewöhnlich teuer bewertet. Alle scheinen sich dabei auf nur wenige Aktien zu konzentrieren, was drastische Risiken durch das damit einhergehende Klumpenrisiko bedeutet. Und die Rahmenbedingungen sind geopolitisch wie konjunkturell ziemlich wacklig. Kann man da ausgerechnet jetzt überhaupt noch frisches Geld investieren?

Um es gleich vorwegzunehmen: Sicher kann man das. Es ist nicht eine Frage des „ob“, sondern eine des „wo“ und des „wann“, wenn es um Käufe am Aktienmarkt geht. Das Ziel muss sein, erstens zuzusehen, dass man den Risiken aus dem Weg geht, die so viele andere gerade eingehen, meist, ohne, dass sie sich dessen bewusst sind. Und zweitens, dass man sich Ziele sucht, die nicht nur ein geringeres, kurzfristiges Absturzrisiko aufweisen, sondern solides, mittelfristiges Kurspotenzial mitbringen.

Raus aus dem Wald und antizyklisch denken!

Die meisten Menschen neigen zu zwei als Investor problematischen Verhaltensweisen. Zum einen tun sie gerne einfach das, was die anderen auch tun, weil sie sich in der „Herde“ sicherer fühlen. Zum anderen neigen viele dazu, sich komplett auf ihr ureigenes Ziel zu fixieren und dadurch leicht den Wald vor lauter Bäumen nicht zu sehen, sprich das „Große Ganze“ aus den Augen zu verlieren. Das führt dazu, dass viele am liebsten das kaufen, was gerade gut läuft und schon vorher stark gestiegen ist … und das umso mehr, wenn solche Aktien oder Indizes in aller Munde sind und, weil dem Weg so viele folgen, medial mit stur positivem Tenor präsent sind. Das Ergebnis führt zu Situationen, wie wir sie im folgenden Chart sehen:

Börse aktuell: Entwicklung DAX und Überflieger und Underperformer im Vergleich von Januar bis August 2025 | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung DAX und Überflieger und Underperformer im Vergleich von Januar bis August 2025 | Quelle: marketmaker pp4

Wenn sich Kapital so sehr konzentriert, dass z.B. im DAX von dessen 40 Aktien nur 10 im laufenden Jahr besser gelaufen sind als der Index (beim Dow Jones laufen aktuell übrigens 19 von 30 Aktien besser!), sprich wir nur wenige Zugpferde haben und der Rest halbherzig oder gar nicht mitläuft, birgt das natürlich Risiken. Aber vor allem für diejenigen, die stur auf diese vermeintlichen Dauerläufer wetten. Nicht wenige der Aktien, die nicht im Fokus der Masse stehen, stehen zu Unrecht im Schatten – es gilt nur, sich umzuschauen, um sie zu finden. Und man muss sich fragen:

Warum trifft der Spruch, dass die Masse an der Börse zwar lange recht bekommt, aber am Ende schiefliegt und verliert, zu? Weil starke Trends bequem machen. Viele hinterfragen sich nicht, solange es läuft und verkennen dabei, dass man dadurch das bei langlaufenden Trends sukzessiv steigende Risiko einer Überbewertung und eines Mangels an frischen Käufern nicht mehr wahrnimmt.

Gefahr macht erfinderisch … wenn man sie erkennt

Immer wieder hört man den Spruch „aber hier ist das doch etwas ganz anderes“. Aber warum ist da etwas anders? Aktien, die alle glauben haben zu müssen, werden irgendwann unter der Last ihrer Bewertung zusammenbrechen. Wer das sofort realisiert, kann dann noch gut aus dem Markt kommen. Wer indes bequem geworden ist, reagiert dann nicht, sondern kauft eher noch in den jungen Abwärtstrend zu. Welche Sicherheit hat man als Anleger denn, dass heiß gelaufene Aktien wie die deutschen Rüstungstitel, wie die im DAX notierten Banken oder wie die „Magnificent Seven“ in den USA nicht auf einmal genauso schlagartig abdrehen wie z.B. die hier mit einigen „Dauerläufern“ gezeigten Aktien von Atlassian oder Adobe? Keine.

Börse aktuell: Entwicklung ausgewählter Aktien in den USA von 2020 bis 2025 | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung ausgewählter Aktien in den USA von 2020 bis 2025 | Quelle: marketmaker pp4

Wer es schafft, antizyklisch zu denken, weil er/sie realisiert, dass der Lauf in der Masse zwar zuerst Sicherheit bietet, dann aber irgendwann dazu führt, dass man den Abgrund vor lauter Bullen nicht sieht, auf den man zu rennt, versteht auch: Bei ungewöhnlich hohen Bewertungen als Folge einer immensen Kursrallye und ggf. auch noch einer überkauften Markttechnik ist es nicht „feige“, den Gewinn mitzunehmen. Wer versteht, dass an der Börse nicht geklingelt wird, wenn ein Hoch erreicht ist, grämt sich dann auch nicht, wenn die betreffende Aktie danach noch weiter steigt. Das Hoch kann man nicht vorhersehen. In einem normalen Umfeld nicht, bei entfesselten Kaufwellen schon mal gar nicht.

Wichtig ist nur, nicht zu ängstlich zu früh zu verkaufen, sondern abzuwarten, bis Indizien einer Überhitzung auftreten, sich dann aber umgehend nach Alternativen umzusehen. Die es, wie vorher geschrieben, ja gerade dann recht zahlreich gibt, wenn zu viele sich auf zu wenige Aktien konzentrieren. Kurz: Wer imstande ist, wachsende Gefahren zu erkennen, öffnet sich dadurch auch in Richtung neuer Chancen bei Aktien, die die Masse womöglich erst in einigen Monaten oder sogar Jahren wahrnimmt.

Die Börse ändert sich nie. Das Kursverhalten und das nötige Rüstzeug bleiben immer gleich

Aber ist es denn nicht Unsinn, sich von starken Trends zu verabschieden und auf Aktien zu setzen, die derzeit kaum jemand auf dem Schirm hat und die daher noch weiter fallen könnten? Dann würde man in seinen neuen Positionen Verlust machen und in den alten Gewinne verpassen, was hieße: doppelt verloren. Das stimmt … wenn man einfach auf Verdacht, aus dem Bauch heraus, agiert. Was man aber weder muss noch sollte.

Richtig ist zwar, dass Geduld eine der wichtigsten Eigenschaften eines Investors ist. Aber das bezieht sich nicht darauf, dass man jahrelang gleichmütig eine Aktie behalten soll, die nicht ins Laufen kommt. Geduld sollte man mit dem Einstieg an sich haben, sprich warten, bis eine als interessant identifizierte Aktie charttechnisch das Signal liefert, dass jetzt ein Aufwärtstrend beginnen könnte.

Börse aktuell: Entwicklung Applovin von 2024 bis 2025 | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung Applovin von 2024 bis 2025 | Quelle: marketmaker pp4

Ein Anleger, der über Jahre hinweg mehr Gewinn erzielen als Verlust einstecken will, braucht letztlich vor allem folgende Fähigkeiten:

  • Die Disziplin, Schieflagen konsequent zu bereinigen, statt sie auszublenden und auszusitzen.
  • Die Geduld zu warten, bis die Kurse eine eigene Annahme bestätigen und erst dann zu handeln.
  • Die Flexibilität, sich vom Denken und Handeln der Masse zu lösen und auch mal antizyklisch und um die Ecke zu denken.
  • Die Fähigkeit, sich anhand des nötigen, ggf. erweiterten Basiswissens selbst ein Bild machen zu können, satt auf das angewiesen zu sein, „was alle sagen“.
Börse aktuell: Entwicklung Brenntag von 2024 bis 2025 | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung Brenntag von 2024 bis 2025 | Quelle: marketmaker pp4

Die Sieger von heute bekommen einen Stop Loss, die Sieger von Morgen einen Platz in der Watchlist

Wer Charts und markttechnische Indikatoren zu lesen weiß und die Basiselemente der Bewertung wie KGV oder KUV kennt, hat, was man braucht, um das Richtige zu tun, wenn die Highflyer von heute zu Verlierern und die aktuellen Aschenputtel zu Gewinnern werden. Was zurück zur Eingangsfrage führt, was man denn hier und heute überhaupt noch kaufen könnte.

Das, was gerade a) fair bis sogar günstig bewertet ist, b) Wachstum bei Umsatz und Gewinn vorweisen kann und c) charttechnisch ein bullisches Signal abliefert. Und wenn es da gerade nichts gibt?

Es mag für manche absurd klingen … aber in solchen Fällen haben erfahrene Investoren, auch und gerade die ganz großen Legenden, einfach mal eine höhere Barreserve. Man muss nicht nur nicht dauernd voll investiert sein – man sollte es auch nicht.

Stellen Sie einfach ein Bein in den Notausgang, indem Sie besonders heiß gelaufene Aktien in Ihrem Depot mit einem Stop Loss absichern. Und stellen Sie das andere Bein in die Tür kommender Trends, indem Sie sich nach günstig bewerteten Aktien mit Wachstum umschauen (von denen es mehr gibt, als man glauben sollte), die noch kaum jemand kaufen mag. Schreiben sie sich diese Aktien in die Watchlist und nehmen Sie sich die Zeit zu warten, bis sie bullische Signale im Chart zeigen.

Und, auch das ist etwas, das man normalerweise erst mühsam lernen muss: Grämen Sie sich nicht, wenn da plötzlich einer der Watchlist-Kandidaten mit einem Satz nach oben so stark zulegt, dass man dem Kurssprung zu teuren Kursen hinterherlaufen müsste. Das passiert. Aber es ist nicht tragisch, denn auch, wenn man es in dem jeweiligen Moment nicht so empfindet: Die Börse bietet jeden Tag irgendwo eine andere, neue Chance … es eilt nie!

Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!

Ihr

Ronald Gehrt

Über den Autor

Nach dem Abitur 1984 studierte der gebürtige Hamburger an der Universität der Bundeswehr Betriebswirtschaftslehre. Im Anschluss an seine Dienstzeit als Offizier begann seine Zeit als Analyst und Finanzjournalist. Seit 1996 war und ist er als Redakteur, Referent und Kolumnist in zahlreichen Funktionen aktiv, seit 2016 ist er unter anderem Analyst bei LYNX. Gehrt ist ein Allrounder, der in der fundamentalen, d.h. volks- und betriebswirtschaftlichen Analyse ebenso sattelfest agiert wie in den verschiedenen Disziplinen der Technischen Analyse wie Chart- und Markttechnik und Sentinentanalyse.

Analysemethode

Die Analysen von Ronald Gehrt basieren auf einer Kombination fundamentaler Fakten und Daten mit der aktuellen chart- und markttechnischen Situation des/der hier vorgestellten Index/Rohstoffs/Währungspaars/Aktie. Bilanz- und Konjunkturdaten sowie wirtschafts- und finanzpolitische Fakten, Nachrichten und/oder Statements werden als Grundlage zur Beurteilung der charttechnischen und markttechnischen Perspektive des untersuchten Werts analysiert.

Gültigkeit der Analyse: 1 Woche
Erwartung: Neutral
Sofern nicht anders angegeben, beabsichtigen wir nicht, diesen Artikel zu aktualisieren. In Zukunft können aber Analysen zum selben Finanzinstrument veröffentlicht werden.

Immer wieder erlebt man an der Börse, dass eine Aktie jahrelang steigt, in aller Munde ist und am Ende in der Bedeutungslosigkeit versinkt. Das passiert nicht allzu oft. Aber wenn, endet das für viele Anleger fatal. Es wirkt, als habe sich ein gewaltiger Irrtum schlimm ausgewirkt. Aber das muss niemanden passieren … sofern man die tatsächliche Quelle des Irrtums findet.

Es war schon immer so und es wird vermutlich auch nie anders: Ich begegne immer wieder Anlegerdepots, die eigentlich gut aufgestellt sind und solide Gewinne abwerfen würden, wären da nicht neben zahlreichen gut performenden Aktien auch einige „Depotleichen“, die die Gesamtperformance bremsen oder sogar ins Negative verkehren. Und man bekommt, wenn man die Depot-Besitzer darauf anspricht, immer die gleichen Antworten zu hören:

„Die haben in dem Unternehmen echt Mist gebaut“ … „diese sch… Shortseller machen die Aktie komplett nieder“ … „das konnte ja keiner ahnen“ und, eigentlich immer dabei: „Jetzt lohnt es sich ja auch nicht mehr, da auszusteigen“. Was oft auch stimmt. Aber die eigentliche Frage ist ja nicht, ob man noch aussteigen sollte, wenn das Kind im Brunnen liegt, sondern warum man es nicht getan hat, bevor es überhaupt in den Brunnen fiel. Denn um das gleich voranzustellen:

Irren ist unumgänglich. Irrtümer zu ignorieren, ist das Problem

Irren darf man sich, das ist an der Börse letzten Endes sogar unvermeidlich. Schließlich kann man nie wissen, die die Rahmenbedingungen in ein, zwei oder zehn Jahren aussehen werden. Wer kauft oder verkauft, tut das an der Börse immer in einem Umfeld der Unsicherheit. Die Probleme entstehen nicht, weil man sich geirrt hat. Sondern nur dann, wenn man das verdrängt oder stur darauf beharrt, recht zu haben, obwohl die Fakten das Gegenteil darlegen. Das Problem wird erst deshalb groß, weil man es als Anleger zugelassen hat. Dann wird aus einem jederzeit möglichen Irrtum ein großer Irrtum.

Börse aktuell: Entwicklung Beyond Meat Aktie von 2019 bis 2025 | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung Beyond Meat Aktie von 2019 bis 2025 | Quelle: marketmaker pp4

Sie sehen es ja in den diesen Beitrag begleitenden Charts: Keine Aktie, kein Index und auch nicht der ganz unten abgebildete Ölpreis (der zeigen soll, dass sich so etwas keineswegs auf den Aktienmarkt beschränkt), fielen über Nacht von 100 auf 0. Man hätte etwas tun können. Aber ich wage aufgrund dessen, was ich so über die letzten Jahrzehnte erlebt habe zu behaupten: Nicht nur relativ viele reagieren nicht, wenn sie es müssten, sondern die meisten. Die Frage ist, warum das so ist.

Hierzu heute ein paar Gedanken und Vermutungen, die vielleicht hilfreich sind. Denn meiner Erfahrung nach sind große Verluste fast immer das Ergebnis eines von den Kursen losgelösten Irrtums … nämlich dem, dass sich das alles schon wieder von alleine einrenkt, ohne dass man selbst Entscheidungen treffen müsste. Das passiert vielen, da schließe ich mich selbst durchaus mit ein. Und das muss einfach nicht sein.

Börse aktuell: Entwicklung Varta Aktie von 2017 bis 2025 | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung Varta Aktie von 2017 bis 2025 | Quelle: marketmaker pp4

Man muss keine Bilanzen lesen können, aber man muss verstehen, wie die Börse „tickt“

Es gibt ein paar Gründe, warum Anleger an Aktien festhalten, die auf einmal ganz und gar nicht so laufen, wie sie sich das zuvor beim Einstieg ausgemalt hatten. Dabei ist mangelndes Fach- bzw. sogar Börsen-Grundwissen zwar auch eine Ursache, aber nicht entscheidend für das Verlust-Drama an sich. Denn um zu erkennen, ob gerade ein Trend gebrochen ist, muss ich nicht imstande sein, die Bilanz des betroffenen Unternehmens genau unter die Lupe zu nehmen.

Aber zu verstehen, wie die Börse grundsätzlich funktioniert, warum Kurse steigen oder fallen, wie die „Mechanik“ dieser Kursbewegungen aussieht, das ist wichtig. Und zwar, weil man dann erst wirklich versteht, wie es kommen kann, dass eine Aktie (oder auch ein Index) jahrelang steigen, dann abrupt kehrtmachen und alles, was zuvor an Kursgewinn entstand, am Ende dahin ist. Will heißen:

Man muss realisieren, dass die Kurse von den Entscheidungen der Anleger bewegt werden und diese oft nicht mit der Faktenlage übereinstimmen. Und dass die anderen genauso denken und handeln wie man selbst. Dass man, wenn man leichtsinnig agiert, oft gerade deswegen erst einmal lange Zeit nicht bestraft wird, weil so viele andere genauso leichtsinnig handeln und es genau das ist, was die Kurse erst einmal immer höher treibt. Aber Risiken gehen dadurch nicht weg. Und das ist am Ende eben das Problem, wenn viele andere erkennen, dass die Hütte brennt und man selbst nicht reagiert.

Wer sich nicht auskennt, folgt einfach der Herde. Und solange das gutgeht, kommt man gar nicht auf die Idee, sein eigenes Tun zu hinterfragen und/oder hinter Vorhänge zu schauen. Und man kommt auch nicht auf die Idee, lieber mal Gewinne mitzunehmen oder ganz auszusteigen. Weil es doch so gut läuft. Weil alle sagen, dass es so weitergehen wird (despektierlich formuliert ist das das Muhen der Herde). Und weil, solange man durch Kursgewinne belohnt wird, die Gier die Vernunft überlagert. Was man aber normalerweise nicht merkt, weil man den Erfolg nicht dem Effekt der Herde, sondern der eigenen Cleverness zuordnet.

Börse aktuell: Entwicklung HelloFresh Aktie von 2017 bis 2025 | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung HelloFresh Aktie von 2017 bis 2025 | Quelle: marketmaker pp4

Umdenken ist gar nicht so nicht leicht, Verluste zu realisieren auch nicht

Hinzu kommt, dass Umdenken aufwändig und gar nicht so einfach ist. Eine einmal gefasste Meinung ist für uns so lange richtig, wie sie scheinbar bestätigt wird. Anders ausgedrückt: Die Titanic galt so lange als unsinkbar, bis sie auf einmal doch sank. Und man weiß, dass viele dort erst einmal nicht reagierten und das mit dem Leben bezahlten, weil sie sicher waren, dass nicht ist, was nicht sein darf. Es ist am Aktienmarkt kaum anders. Und gerade an der Börse kostet das Umdenken und Hinterfragen Zeit, denn die Gemengelage ändert sich stetig. Man will aber nicht andauernd seine Sicht der Dinge und mit ihr seine Depotzusammensetzung anpassen. Also?

Also hält man, was man hat und denkt sich „Augen zu und durch“ bei den Positionen, die gerade nach unten abdrehen.  Auch, weil man glaubt, dass der Rest des Depots die paar „Depotleichen“ schon kompensieren wird. Und weil man hofft, dass diese Leichen schon bald wieder drehen werden, so dass man ja dumm wäre, wollte man jetzt verkaufen, nachdem eine Aktie 30, 40 Prozent vom Hoch verloren hat (was sie in Bezug auf das eigene Depot verloren hat, weil man nicht reagierte, als man hätte reagieren sollen). Denn wenn sie dann wieder steigt, wäre man ja der Angeschmierte.

Börse aktuell: Entwicklung Nordex Aktie von 2014 bis 2025 | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung Nordex Aktie von 2014 bis 2025 | Quelle: marketmaker pp4

Große Irrtümer an der Börse werden nur zu großen Niederlagen, wenn man sich über sich selbst irrt, weil man sich etwas vormacht. Und nicht, weil das Schicksal über Nacht zuschlug oder andere etwas wussten, was vor einem selbst geheim gehalten wurde. Aber, so könne man einwenden: Was bringt es, sich stetig zu hinterfragen, wenn Entscheidungen an der Börse trotzdem immer unter Unsicherheit erfolgen und man damit nie weiß, ob ein Umdenken am Ende zum Erfolg führt oder sich nicht eben doch alles von selbst einrenkt?

Und außerdem, so ließe sich darüber hinaus kritisieren, sind doch Stoppkurse nie sicher. Da wird man ausgestoppt und schwupp, zieht der Kurs wieder in die andere Richtung und man ist aus dem Rennen oder muss viel teurer zurückkaufen. Und auch die Charttechnik ist ja nicht hundertprozentig zuverlässig, wie oft gibt es da Bullen- und Bärenfallen! Warum also nicht mit „buy & hold“ weitermachen und hoffen, dass mehr Dauer-Hausse-Aktien im Depot liegen als Leichen?

Wer sich von Verlusten befreit, kann erheblich neutralere Entscheidungen treffen

Weil man, wenn man sich einer unangenehmen Reaktion verweigert (und Verluste zu realisieren ist nun einmal unschöner als sie einfach auszublenden), entscheidend an Performance verliert. Eine richtige, brutale Baisse in einem Kurs ist erst dann sicher, wenn sie bereits stattgefunden hat. Wer ein paarmal unglücklich ausgestoppt wird, weil ein Kurs überraschend doch wieder anzieht, hat es zwar mühsamer. Aber dann ist man erst einmal neutral, ist freier in seiner Entscheidung, weil man nicht durch seine bestehende, gerade in Bedrängnis geratene Position im Denken korrumpiert wird. Und vor allem:

Börse aktuell: Entwicklung Nasdaq 100 von 1998 bis 2002 | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung Nasdaq 100 von 1998 bis 2002 | Quelle: marketmaker pp4

Einen Verlust zu akzeptieren und ihn damit einzugrenzen, verhindert das Schlimmste, was ein Anleger tun kann … und was so viele auch tatsächlich tun: Es verhindert die sogenannte „Einstandsverbilligung“. Ein Wort, das etwas Fatales genauso verharmlost wie z.B. das Wort „Minuswachstum“. Wer konsequent verkauft, wenn ein Trend bricht, kommt gar nicht in die Versuchung, in fallende Kurse hinein eine Verlustposition immer weiter zu vergrößern, indem man immer wieder zukauft. Ja, wenn der Kurs danach sofort dynamisch dreht, hätte sich das gerechnet. Aber es ist nun einmal nicht gerade vernünftig, zu glauben, dass ein Abwärtstrend endet, nur, weil man das will, während ein Aufwärtstrend immer weiterläuft, und das auch nur, weil man das will.

Die hier im Verlauf des Beitrags eingebauten Chart zeigen zwar nicht Kursverläufe, die an jeder Ecke lauern. Aber was wir hier sehen, sind Aktien, die in aller Munde und in sehr vielen Depots waren, weil man gerade wegen dieser immensen Trenddynamik nach oben dachte: Da geht nichts schief. Und das gilt ja für Trades auf den Nasdaq 100 oder den Ölpreis genauso. Wir reden nicht von etwas, das vereinzelten Anlegern in seltenen Fällen vielleicht mal passiert, sondern von Fällen, die viele angingen bzw. an der Börse aktuell noch angehen. Deswegen sind „Depotleichen“ ja so häufig.

Börse aktuell: Entwicklung Öl von 2006 bis 2009 | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung Öl von 2006 bis 2009 | Quelle: marketmaker pp4

Fazit: Konsequenz ist nie einfach, aber immer nötig

Aus meiner Sicht sind die großen „Irrtümer“ an den Börsen, diese Aktien, die scheinbar für immer stiegen und dann am Ende am Boden lagen, die großen Irrtümer von uns Anlegern in Bezug auf uns selbst.

Mittlerweile drehe ich eine Trading-Position vier-, fünf- oder auch zehnmal, wenn’s denn sein muss. Einfach, weil ich langsam kapiert habe, dass es immer fatal ausgeht, wenn man entweder stur auf irgendetwas setzt, das zwar kommen kann, aber nie muss. Oder wenn man irgendwann keine Lust mehr hat, sich an neue Lagen anzupassen. Meist ist genau dann, wenn man erstmal sagt „nö, jetzt mag ich nicht mehr“ der Punkt erreicht, wo sich das x-fache Drehen eines Trades wirklich gerechnet hätte. Aber falls Sie und ich nicht gar so unterschiedlich sein sollten, darf ich diesen Hinweis als „Beipackzettel“ mitgeben:

Der Eintritt der Wirkung kann verzögert erfolgen. Bei mir waren es schon ein paar Jahrzehnte, bis ich imstande war, nicht nur anderen kritisch über die Schulter zu schauen, sondern auch mich selbst kritisch genug im Spiegel zu betrachten, um die ganz großen, teuren Irrtümer zu vermeiden. Der Weg zur Konsequenz zieht sich gerne hin. Aber er lohnt sich.

Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!

Ihr

Ronald Gehrt

Über den Autor

Nach dem Abitur 1984 studierte der gebürtige Hamburger an der Universität der Bundeswehr Betriebswirtschaftslehre. Im Anschluss an seine Dienstzeit als Offizier begann seine Zeit als Analyst und Finanzjournalist. Seit 1996 war und ist er als Redakteur, Referent und Kolumnist in zahlreichen Funktionen aktiv, seit 2016 ist er unter anderem Analyst bei LYNX. Gehrt ist ein Allrounder, der in der fundamentalen, d.h. volks- und betriebswirtschaftlichen Analyse ebenso sattelfest agiert wie in den verschiedenen Disziplinen der Technischen Analyse wie Chart- und Markttechnik und Sentinentanalyse.

Analysemethode

Die Analysen von Ronald Gehrt basieren auf einer Kombination fundamentaler Fakten und Daten mit der aktuellen chart- und markttechnischen Situation des/der hier vorgestellten Index/Rohstoffs/Währungspaars/Aktie. Bilanz- und Konjunkturdaten sowie wirtschafts- und finanzpolitische Fakten, Nachrichten und/oder Statements werden als Grundlage zur Beurteilung der charttechnischen und markttechnischen Perspektive des untersuchten Werts analysiert.