Warum ausgerechnet jetzt? Das ist die typische Frage, die man zu hören bekommt, wenn ein Aktienindex auf einmal eine dynamische Wende nach unten oder nach oben vollzieht. Was daran liegt, dass die Wende und die sie begründende Veränderung der Faktenlage selten bis nie zeitlich zueinander passen. Warum ist das so?
Will man es in ganz kurzer Form auf den Punkt bringen, könnte man es so ausdrücken: Das ist so, weil die Börsen – und vor allem die Aktienmärkte – nicht rational sind. Weil zwischen den Fakten und den Kursen ein Filter Namens Mensch sitzt. Und der wirkt wie eine Wundertüte.
Da sehr viele Menschen – üblicherweise unbewusst – Informationen subjektiv interpretieren oder, wenn sie ihnen nicht in den Kram passen, auch mal komplett ignorieren, kann man nicht erwarten, dass etwas, das objektiv betrachtet zwingend die Kurse deutlich nach oben oder unten bewegen müsste, auch tatsächlich und dann auch noch sofort diese Reaktion hervorruft. Das kann vorkommen. Aber es ist eher selten. Schauen wir uns dazu mal Beispielfälle an.
Der Zoll-Crash und sein abruptes Ende
Hier sehen wir einen Fall, in dem die Marktteilnehmer unmittelbar und grundsätzlich logisch reagierten. Man wusste, dass Donald Trump am 2. April abends seine Entscheidung über die Einfuhrzölle verkünden würde. Doch man ahnte nicht, wie absurd extrem das dann ausfallen würde. Trotzdem hielt sich die Reaktion am ersten Handelstag danach noch in Grenzen. Erst am Tag danach wurde es heftig. Und dann, nach einem Wochenende, kam es am Montagmorgen beim DAX zum Crash.

Der traf indes noch am gleichen Tag auf Käufe. Aber die Verkündung einer 90-Tage-Frist, die gewährt wurde, weil die US-Verantwortlichen sahen, dass ihre Aktion die Kapitalmärkte gerade an den Rand des Kollapses gebracht hatte, kam erst später, genau eine Woche nach der Zoll-Liste. Das Tief kam Tage vorher, an dem Tag, an dem am Morgen die Panik am größten war. Warum ausgerechnet da? Ist das logisch?
Nicht, wenn man unterstellen wollte, dass die Kurse sklavisch entlang der Nachrichtenlage bzw. der Fakten (was ja nicht zwingend dasselbe sein muss) reagieren. Aber das tun sie ja auch selten. Zumal dann auch noch die sogenannte „Mechanik der Märkte“ mit hineinspielt. In diesem Fall lief es so ab:
Zuerst der Absturz: Dass sich der Kurseinbruch immer mehr intensivierte, lag daran, dass viele diese Zölle bis zum Tag X, als Trump seine absurde Zolltafel in die Kameras hielt, nicht ernst genug genommen hatten. Für diese Akteure war dann auch weniger der Zollthema die Basis der Panik, sondern die immer schneller fallenden Kurse an sich. Das führte über das Wochenende zu schlechtem Schlaf und wachsender Angst. Und am Montagmorgen wollten dann einfach zu viele zu jedem Preis aussteigen und fast niemand kaufen. Das war es, was den DAX und andere Indizes mit dieser riesigen Abwärts-Kurslücke in den Handel schickte: Ein extremes Ungleichgewicht von Angebot und Nachfrage. Nicht Trump selbst, sondern diese Basisaspekte des Handels, die „Mechanik der Märkte“.
Und die Kaufwelle? Dito. Wer im DAX auf der Short-Seite stand, konnte sein Glück am Montagmorgen kaum fassen. Riesengewinne aus heiterem Himmel … dass viele die sofort kassieren wollten, bevor sie weg sind, war klar. Und wenn vorher Unmengen an Akteuren verkauft haben, gehen dem Markt dann kurzfristig die Verkäufer aus. Dadurch entstand das umgekehrte Bild wie zuvor: Keine Verkäufer, aber Käufer en masse. Denn wer Short ist, muss entweder seine vorher leer verkauften Aktien eindecken, sprich kaufen, um die Position dadurch zu schließen. Oder jemand, der im Future Short war, muss eine Long-Position dagegenhalten, um neutral zu sein. Was auch bedeutet:
Meist ist es nur die „Mechanik der Märkte“, die den Stein ins Rollen bringt
Das Tief kam am Montag, den 7. April, Trumps „Galgenfrist“ aber erst am Abend des 9. April, was dann zu der immensen Aufwärts-Kurslücke des DAX am 10. April führte. Wer da am 7. oder 8. April kaufte, hatte keine seherischen Fähigkeiten, das waren vor allem Bären, die nur ihre Gewinne kassierten, ohne deswegen auf einmal Optimisten sein zu müssen. Und darüber hinaus rein charttechnisch und kurzfristig agierende, spekulative Trader. Die Kurswende, die war also am 7.4., die Faktenwende am Abend des 9.4. Und so etwas sehen wir durchaus häufig.
Es ist oft einfach die „Mechanik der Märkte“: Kursbewegungen, die auf einem untypisch intensiven Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage basieren, die die Wende bringen. Wobei man gleich als nächste Regel hinterherschieben könnte:
Bleiben entsprechende, die Wende zeitgleich oder nachträglich unterfütternde Fakten aus, kann die Wende auch in sich zusammenbrechen, sprich scheitern. Dazu Beispiel Nummer 2, der Corona-Crash.
Der Corona-Crash und die wundersame Wende
Schon Ende Januar wurde langsam klar: Da kommt etwas auf uns zu, was wir so noch nicht erlebt haben. Das bedeutet: Unsicherheit. Und genau das mögen Anleger natürlich nicht, auch, wenn es – eigentlich – ihr tägliches Geschäft ist. Daher wunderte es nicht wirklich, dass man erst einmal so tat, als seien die Warnungen vor Corona völlig überzogen und die Sache nur eine kleine Panik-Blase. Erst als man realisierte, dass „die Welt schließt“, brach allgemeine Panik aus. Später als es rational zu erwarten war … dann aber, siehe auch Beispiel 1, wieder alle auf einmal. Ergebnis:
Ein Crash. Hinzu kam ein weiterer Faktor: Die Nachrichtenlage war nicht klar, sondern unübersichtlich. Die Folge: Keiner wusste da Genaues, viele glaubten aber, andere könnten mehr wissen. Daher neigten nicht wenige Anleger dazu, starken Impulsen blind zu folgen, rauf wie runter, weil: Da könnte ja wer am Werk sein, der weiß, was er/sie tut. Was da meist nicht der Fall war. Und auch in anderen Phasen übrigens eher nicht.

Und dann griff der tendenziell übliche Ablauf: Erst nahmen die Bären Gewinne mit. Das zog die Kurse höher. Viele dachten: „Da weiß wer was“ und hielten mit. Und dann wurde die Rallye der Aktienmärkte so etwas wie das für alle sichtbare Symbol der Hoffnung. Erst, als den Käufern langsam Geld und Puste ausgingen und dann, Richtung Herbst, immer noch keine Fakten die Hoffnungen ablösten, drohte die Sache zu kippen. Oder besser: Sie kippte tatsächlich, denn da wurde dann ein Topp vollendet und die 200-Tage-Linie wieder unterboten. Und immer wieder hätte man sich, wenn man sich rein auf die Nachrichtenlage reduziert, fragen können: Warum ausgerechnet jetzt?
Nur diese Rettung vor der nächsten Baisse-Welle Anfang November 2020, die hatte dann unmittelbare „News“ als Auslöser: Die Meldung über die ersten, fertigen Impfstoffe und dann, nur Tage später, die US-Wahl, bei der Donald Trumps Niederlage die Hoffnung auslöste, dass die Misere jetzt schneller ein Ende finden werde. Aber dass Nachrichten und Kursreaktion so eng miteinander korrelieren, das ist eben eher die Ausnahme als die Regel.
Eine Wende kann aus verschiedenen Gründen und letztlich jederzeit entstehen, also …
Wann was den Markt dominiert, ob es die Emotionen, die Mechanik der Märkte oder wirklich blanke Fakten sind … wie groß die Reaktionen der Kurse dann ausfallen … ob es zu einer Auf- oder Abwärtswende reicht oder nicht …. und wie weit die dann zeitlich von den eigentlichen Argumenten einer Wende entfernt sind: All das kann man definitiv nicht vorhersagen. Alleine, weil da der emotionale Aspekt mit hineinspielt, kann man da jedes Rechenmodell vergessen.
Denken Sie dazu nur an 2008 zurück. Dass die Subprime-Blase platzen würde, war klar, denn als die Aktienmärkte im Januar 2008 auf einmal kippten, war dieser Prozess längst im Gange. Dass das die Weltwirtschaft extrem unter Druck setzen würde, konnte jeder wissen, der es wissen wollte. Aber das was damals eben der Punkt: Fast niemand wollte das wissen. Man schaute weg, hoffte, dass sich das schon irgendwie von alleine regeln würde und blieb investiert. Und je länger alle wegschauten, desto stabiler wurden die Märkte. Es ging zwar nichts mehr nach oben, aber nach unten eben auch nicht. Also dachten immer mehr: Der Markt kann gar nicht mehr drehen. Aber doch, er konnte – und wie.

Aber natürlich kam dann im Januar 2008 die Frage auf: Warum denn ausgerechnet jetzt? Das hätte man sich übrigens im März 2009 auch in Bezug auf die Aufwärtswende fragen können. Warum gerade da und nicht vorher? In beiden Fällen waren die Argumente für die Baisse und danach, in Form einer gezielten Flutung mit Liquidität, für die Aufwärtswende, längst da. Aber das ist es eben: Die Fakten alleine müssen noch lange nichts bewegen. Es kommen meist mehrere Aspekte zusammen. Emotionen, Nachrichten und ein Ungleichgewicht bei Angebot und Nachfrage. Nicht zwingend alle drei, selten nur einer.
Es hilft, da mit einem Spiegel zu arbeiten, den man sich selbst vorhält. Ich reagiere doch auch nicht permanent rational. Ich setze doch nicht jede neue Nachricht objektiv in Käufe oder Verkäufe um. Ich bin doch parallel zu meiner Trendausrichtung im Depot auch parteiisch, wenn es um die Interpretation oder auch nur die Beachtung von neuen Informationen geht. Warum sollten andere Menschen, egal ob Kleinanleger oder Hedgefonds-Manager, anders sein und anders handeln?
Fazit: Folgen Sie dem Trend.
Die Kurse sind letzten Endes immer nur das Ergebnis aus dem Saldo der Aktionen der Käufer und Verkäufer, die meist irrational handeln. Also ist alles möglich … und eine streng nach der Nachrichtenlage entstehende Wende schlicht nicht besonders wahrscheinlich. Was tun?
Da steht am Ende der Rat, den man immer geben kann bzw. muss: Folgen Sie konsequent den Kursen und damit dem Trend. Er ist das Ergebnis dessen, was die Gesamtheit der Marktteilnehmer im Saldo gerade tut. Warum sie es tun, werden Sie nicht herausfinden, unnötig ist es obendrein, denn was einer heute für richtig hält, kann er morgen für falsch halten. Wann und warum die Mehrheit etwas tut, ist noch schwerer zu ermessen. Warum also nicht einfach dem Trend folgen, immerhin macht man an der Börse keine Gewinne, weil man eigentlich recht hätte. Man muss auch recht bekommen. Und das holt man sich, indem man dem Trend folgt und damit auf der richtigen Seite unterwegs ist.
Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!
Ihr
Ronald Gehrt
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