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Diesmal geht es um alles, um die Demokratie, die Wirtschaft, die Geopolitik, das zumindest kann man in den Medien lesen, hören und sehen. Wobei je nach Ausrichtung entweder Harris oder Trump den Untergang, der/die andere die Rettung bedeuten, aber: Erstens blasen die Medien jede Wahl dergestalt auf. Zweitens wird am Ende vieles weniger heiß gegessen, als es medial vorher gekocht wurde. Und drittens, und das ist mit entscheidend, geht es bei der US-Wahl 2024 nicht nur um Trump oder Harris, die Sache ist komplizierter. Sehen wir uns das mal an.
Seit 1992 habe ich jede US-Wahlnacht vor dem Bildschirm verbracht – auch bei den „Midterm Elections“ – und werde auch zukünftig keine dieser Wahlen verpassen. Aber das tue ich weniger als Trader denn als interessierter Beobachter, weil sich das Wahlsystem in den USA sehr von dem unseren unterscheidet und dadurch äußerst bemerkenswerte Konstellationen entstehen können.
Dass die für die Geopolitik und die Wirtschaft, für das Leben des Einzelnen und für die Börsen immense Bedeutung haben können, ist zwar richtig. Aber so simpel, wie die meisten Medien das darstellen, ist es nicht. Als Investor sollte man daher wissen, was genau da abläuft und wie wichtig das Ergebnis für die Märkte wirklich ist. Auch, wenn dieser Beitrag die Knackpunkte letztlich nur streifen kann: Einiges sollte man auf jeden Fall im Hinterkopf haben, wenn man diese Wahl 2024 als Basis des eigenen Tradings nutzen möchte.
Die kurzen Beine der politischen Börsen und das Schwarz/Weiß-Denken der Anleger
Der oft strapazierte Spruch, „politische Börsen haben kurze Beine“ trifft oft zu. Aber ganz und gar nicht immer. Ein massiver politischer Wandel kann die Börsenlandschaft durchaus lange Zeit durcheinander wirbeln. Sicher, die US-Unternehmen konnten bislang fast ungebremst tun, was sie wollen … und daran dürfte sich auch ab 2025 nicht viel ändern, egal, wer diese Wahl gewinnt. Und die Leitzinsen und mit ihnen die Kosten für Refinanzierungen werden weiter von der US-Notenbank bestimmt, die ihre garantierte Unabhängigkeit von der Politik bewahren wird, auch egal, wer die Wahl gewinnt. Aber es macht für die Wachstumsperspektive schon einen entscheidenden Unterschied aus, wer fürderhin mehr und wer weniger Steuern zahlen muss, wen neue Gesetze fördern und wer davon gebremst wird.
Das kann auch den Wert des US-Dollars zu anderen Währungen deutlich beeinflussen, kann die Attraktivität von US-Anleihen für internationale Investoren fördern oder verringern, die Schaffung neuer Produktionsstandorte in den USA und, natürlich, die übergeordnete Tendenz der Aktienmärkte mit bestimmen. Nur übersieht man dabei gerne eines:
Wird die Politik vor ein Problem gestellt, muss es gelöst werden. Und ob man das aus eigener parteipolitische Ausrichtung nun gut oder unerfreulich findet: Meist gibt es für jedes Problem nur einen „besten Weg“… und der muss gegangen werden, egal, ob man im Vorfeld der Wahl anderes propagiert hat oder nicht. Daher stellt sich die Frage, ob der Wahlsieger/die Wahlsiegerin das Zeug hat, das Land voranzubringen nicht vor der Wahl, sondern erst, wenn man wirklich sehen kann, ob und wie Probleme angegangen und gelöst werden.
Daher ist das typische Schwarz/Weiß-Denken, dass Republikaner bessere Wirtschaftspolitik machen und daher für den Aktienmarkt besser sind als ein demokratischer Präsident, zu kurz gedacht. Sicher, je komplizierter die Ausgangslage, desto eher neigen viele dazu, die Sache auf einfache Faustregeln zu reduzieren. Aber sehen Sie sich dazu einfach mal an, wie der Dow Jones unter den letzten Präsidenten seit 1980 gelaufen ist. Der Chart ist, um die Dimension der Performance besser erfassbar zu machen, logarithmisch skaliert:
Dass Demokraten keine „Wirtschaft können“, erschließt sich aus diesen Performances ebenso wenig wie die Schwarz/Weiß-Denkweise, dass ein republikanischer Präsident automatisch bullisch für den Aktienmarkt wäre. Und wenn man es sich genauer überlegt, ist das auch logisch denn:
Inflation, Arbeitsmarkt, Schulden, Verbraucherstimmung: Meist spielt die Politik eine Nebenrolle
Auf einen Großteil der Faktoren, die auf die Börsen einwirken, hat die Politik wenig bis gar keinen Einfluss, egal, wer gerade im Weißen Haus sitzt. Der Lobbyismus großer US-Unternehmen erstreckte sich schon immer auf beide Parteien, beeinflusst politische Entscheidungen daher permanent. Gewerkschaften sind bei der Entwicklung der Löhne und damit der Kaufkraft eine entscheidende Kraft, die Notenbank mit ihrer Geldpolitik ebenso. Was den Konsum als entscheidenden Faktor des Wirtschaftswachstums angeht, spielt die Politik daher nicht selten nur eine Nebenrolle.
Inflationsphasen, geopolitische Konflikte, verzerrende Ereignisse wie Corona: Oft hat die Politik damit nichts zu tun oder muss sich mit „Erblasten“ vorheriger Regierungen herumschlagen. Dass das im Wahlkampf so ganz anders wirkt, ist normal, schließlich setzen die Kandidaten auf das kurze Gedächtnis und/oder das fehlende Wissen eines Teils der Wähler, die sie damit erreichen wollen, dass sie Amtsinhabern bzw. der Gegenpartei Missstände in die Schuhe schieben, die auf dem Gemüt der Wähler lasten. Aber man sollte eben genauer hinsehen, Beispiel Inflation:
Wenn Donald Trump im Zuge des Wahlkampfs Joe Biden für die Inflation bzw. das so viel höhere Preisniveau von Waren verantwortlich macht, neigen diejenigen, die am stärksten darunter leiden schon dazu, das unbesehen zu glauben, weil die Inflation schließlich in Bidens Amtszeit fiel. Aber sie war letztlich – und das ja nicht nur in den USA – eine Spätfolge der Lockdowns, eine Konsequenz der daraus resultierenden Materialengpässe. Und die Anfangsphase von Corona lag in Trumps Amtszeit, die Inflation war somit mehr eine „Erblast“ als eine Entwicklung, die nur auf Bidens Amtszeit basieren würde.
Ebenso wenig schuld war Bush Junior daran, dass der Dow Jones in seinen acht Jahren Amtszeit ein Minus auswies. Die Immobilienblase und der Zusammenbruch der Subprime-Spielchen hatte nur insofern mit der Regierung zu tun, als dass diese das nicht ausreichend erkannt und reguliert hat, aber man darf unterstellen, dass das unter jeder anderen Administration genauso schlecht gelaufen wäre.
Auch die überbordende Staatsverschuldung ist regelmäßig, so auch diesmal, ein beliebtes Wahlkampfthema, um die gerade regierende Partei zu diskreditieren. Aber letzten Endes ist die Staatsverschuldung seit dem Ende der Clinton-Ära im Januar 2001 jedes Jahr gestiegen, egal, ob der Präsident Demokrat oder Republikaner war.
Dementsprechend überschaubar ist die Bedeutung der Politik für Wachstum und Aktienmarkt, abgesehen von den vorgenannten Faktoren der Besteuerung oder starken Eingriffen in die Macht der Großunternehmen … was indes seit dem „New Deal“ von Franklin Delano Roosevelt vor 90 Jahren niemand mehr ernsthaft gewagt und geschafft hat.
Kurzfristig kann die Wahl extreme Reaktionen auslösen … aber die sind „Kopfsache“!
Ist die Wahl also eigentlich ein rein medial aufgeblasener Non-Event, der keine dauerhafte Folge vor allem für die US-Aktien haben wird? Vorsicht, so einfach ist es dann auch wieder nicht. Denken wir an den extremen Run der US-Aktien nach Trumps Wahlsieg im November 2016. Aber man muss dabei eines bedenken: Es hätte auch ganz und gar anders laufen können.
Da zwischen der Meldung, dass Trump wider Erwarten doch noch gewonnen hat (die am 9.11.2016 gegen Mitternacht US-Ostküstenzeit bzw. gegen sechs Uhr morgens unserer Zeit kam) und der Eröffnung der Wall Street eine Menge Zeit lag, zwischen der Meldung und dem Handelsstart des DAX aber nur drei Stunden, ist es der Chart des DAX, der das am besten verdeutlicht:
Als klar wurde, dass nicht Clinton, sondern Trump das Rennen gemacht hat, brachen die US-Index-Futures in der Nacht haltlos ein. Noch am Morgen, als der DAX in den Handel startete, war das Minus groß, so dass dieser mit einer kräftigen Abwärts-Kurslücke in den Tag ging. Aber als der reguläre US-Handel dann um 15:30 Uhr unserer Zeit startete, war aus dem Minus schon ein Plus geworden, das immer größer wurde und dann, nach ein paar Tagen unentschlossenen Wassertretens, Richtung Jahresende in eine regelrechte Hausse überging. Weil?
Man hatte am Markt einfach entschieden, Trumps Sieg als bullisch einzuordnen. Und das funktionierte gerade deswegen, weil man eben nicht vom Wahlsieger alleine abhängig machen kann, wie es weitergeht. Es geht darum, ob genug Trader am Markt das glauben wollen oder nicht. Daher muss man, sollte man sich jetzt, zwei Monate vor dieser Wahl 2024, positionieren wollen, im Hinterkopf haben: Es ist nicht nur wichtig, wer gewinnt, sondern auch, wie die Masse der Anleger das dann einordnet.
Und dazu ist nicht nur die Wahl des Präsidenten wichtig, sondern auch und gerade ein anderer, oft außerhalb der USA übersehener Punkt: Es ist entscheidend, ob ein neuer Präsident auch wirklich regieren kann.
Achtung, am 5. November finden auch Senats- und Repräsentantenhaus-Wahlen statt!
Was abschließend zu der Aussage im Eingangs-Absatz zurückführt, dass es hier nicht nur um Trump kontra Harris geht. Am Dienstag, den 5. November wird nicht nur der US-Präsident gewählt, sondern zugleich über alle 435 Sitze im Repräsentantenhaus und über ein Drittel der Mitglieder des Senats abgestimmt. Anders als bei uns, sondern eher angelehnt an das französische Wahlsystem gilt daher:
Ein neu gewählter Präsident muss keineswegs nach der Wahl über eine Mehrheit seiner eigenen Partei in einer oder, idealerweise, in beiden Kammern des US-Kongresses (d.h. Senat und Repräsentantenhaus) verfügen.
Die Präsidentschaftswahl läuft, wenn man es schnell zusammenfassen will, wie folgt ab: In jedem der 50 US-Bundesstaaten wird der Sieger der Wahl zwischen Trump und Harris jeweils ermittelt. Wer gewinnt, bekommt alle sogenannten „Wahlmänner“ des Staates zugesprochen, deren Zahl von der Bevölkerungsstärke des Bundesstaates abhängt. Diese Gesamtheit der Wahlmänner aus den 50 Bundesstaaten wählt dann im Dezember den Präsidenten. Was dazu führen kann (aber nie muss), dass ein Kandidat zwar auf die gesamten USA bezogen prozentual mehr Stimmen bekommen hat, aber der andere Kandidat mehr Wahlmänner hat und deswegen trotzdem Präsident wird. Das alleine macht diese Wahlen so spannend. Doch unter dem Präsidenten stehen ja noch die zwei Kammern des Kongresses, das Repräsentantenhaus und der Senat.
Die Mitglieder im 435 Sitze umfassenden Repräsentantenhaus sind immer nur für zwei Jahre gewählt (daher sind auch die sogenannten „Midterm Elections“ so wichtig). Und auch hier gilt: Wer die meisten Stimmen in einem der 435 Wahlkreise bekommt, kriegt den Sitz. Das muss dann aber nicht der Kandidat sein, der zur Partei des kommenden Präsidenten gehört. Und Wähler, die zwar beim Präsidenten die eine, bei ihrem „Congressman“ im Wahlkreis aber die andere Partei bevorzugen, sind nicht selten.
Die 100 Mitglieder im US-Senat sind für jeweils sechs Jahre gewählt. Jeder Bundesstaat, egal wie groß oder klein, stellt zwei Senatoren. Hier wird am 5. November nur ein Drittel neu gewählt, aber auch da ist dann offen, welche Partei die kommende Mehrheit stellt, weil der Senat derzeit in einem Patt dasteht und nur der Vizepräsident (derzeit Kamala Harris), quasi als 101. Stimme, Entscheidungen der Demokraten durchsetzen kann. Was bedeutet:
Die Börsen dürften ein Problem bekommen, wenn der neue Präsident und die Mehrheiten in Senat und Repräsentantenhaus nicht zusammenpassen, vor allem, wenn in beiden Kammern des Kongresses die Gegenpartei die Mehrheit bekäme. Das wäre noch deutlich unerfreulicher als ein Präsident, den die Börse weniger bevorzugt hätte, denn das hieße zwar einerseits, dass die Politik kaum noch imstande ist, sich in die Wirtschaft einzumischen, weil man sich gegenseitig neutralisiert. Aber es hieße eben auch, dass man keine positiven Entscheidungen treffen kann, außenpolitisch kaum handlungsfähig wäre und die Refinanzierung des Staates unsicher würde.
Wird es dazu kommen? Oder „passt“ nach dem 5.11. für die Anleger alles und Dow Jones & Co. ziehen nach oben davon? Angesichts dieses ziemlich komplexen Wahlsystems könnte das sogar noch kurz nach der Wahl offen bleiben. Ein Thema, das spannender kaum sein könnte, daher wird dieser Beitrag nicht der letzte zu diesem Themenkreis sein!
Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!
Ihr
Ronald Gehrt
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