Mit der aktiven Beteiligung der USA an den Angriffen auf den Iran hat sich die Situation erneut verändert. Wie wird das die Entwicklung am Aktienmarkt beeinflussen, nicht nur heute, sondern in den kommenden Tagen und Wochen? Bleibt es bei einem Rücksetzer? Kommt eine ausgedehnte Korrektur? Oder ist das der Schritt hin zu einer Abwärtswende? Es gibt ein gewisses Muster, aber …
… immer dann, wenn wir eine dynamische Entwicklung der Nachrichtenlage erleben, bei der ein neues Ereignis mehrere ganz unterschiedliche Folgeentwicklungen auslösen kann, von denen jede wiederum an eine Weggabelung führt, sind Vergleiche mit früheren, ähnlichen Situationen problematisch.
Denn ja, es gibt momentan beispielsweise beim DAX Ähnlichkeiten zu den Tagen nach dem 24. Februar 2022, dem Angriff auf die Ukraine. Aber das bedeutet nie, dass man in einem solchen Fall die Entwicklung der Märkte mit dem Filzstift durchpausen könnte. Wer das versucht, würde vermutlich eher über kurz als über lang von der Tatsache überrollt, dass sich die Geschichte zwar in Grundstrukturen wiederholen mag, aber nie alles ganz genau so laufen wird wie in früheren Fällen.
Mit simplen Faustregeln kommt man ein einem komplexen Umfeld nicht weit
Werfen wir einen Blick an die Börse aktuell. Wenn wir uns einmal den DAX-Chart auf 15-Minuten-Basis mit Beginn am 12. Juni betrachten (ein Tag vor Beginn des Angriffs auf den Iran), sehen wir ein interessantes Phänomen: Die bislang drei größeren Abwärts-Kurslücken wurden jedes Mal umgehend gekauft.

Was entscheidend daran liegen mag, dass die Komplexität der Gesamtsituation zuletzt dazu führte, dass unter unerfahrenen Anlegern die „Regel“ umgeht, dass jedes Minus eine Kaufgelegenheit ist. Und je größer das Minus, desto größer die Long-Chance. Weil es 2020 im März gutging. Weil es 2022 im Februar gutging. Weil es 2025 im April gutging. Dreimal funktioniert heißt … wenn man naiv genug ist, so zu denken … dass es beim vierten und fünften Mal auch funktionieren muss. Doch wer so denkt, hat nicht erkannt, wie die Börse funktioniert.
Hier geht es nicht um ein System, bei dem Ursache X zwingend Folge Y bedingt. Hier geht es weder um Mathematik noch um Physik, es geht um Psychologie. Denn es sind Menschen, die durch ihr Handeln die Kurse „machen“. Und diese Menschen reagieren nie berechenbar, auch, wenn man das gerne behauptet, um so zu tun, als sei die Börse ganz simpel und damit auch Sparer an den Aktienmarkt zu locken, die dort nicht sein sollten. Nicht als Individuum und auch nicht als Herde.
Kaufen, zögern, verkaufen … die Fakten entscheiden das eher selten
Wenn man schon den Vergleich zu einer Rinder- oder Schafherde zieht … nicht zuletzt, weil er durchaus sinnvoll ist … sollte man nie vergessen, dass man nie, absolut nie sicher sein kann, wann es zu einer Stampede kommt. Es kann drei, vier Stürme oder extreme Gewitter geben, ohne dass die Herde außer Kontrolle gerät. Und dann, beim nächsten Mal, passiert es auf einmal doch. An der Börse läuft es nicht anders. Denn die Entscheidung, zu kaufen, stillzuhalten oder auszusteigen mag zwar durch einen Blick auf die Rahmenbedingungen ausgelöst sein. Aber da geht es darum, dass diese Rahmenbedingungen, seien sie positiv oder negativ, den Marktteilnehmer nur dazu animieren, etwas zu tun. Was genau er dann tut, ist aber eine ganz andere Sache und wird sehr oft in einer ganz anderen Abteilung des Kopfes entschieden und umgesetzt. Nicht dort, wo die Ratio arbeitet, sondern dort, wo die Emotionen sind.
Gier, Verunsicherung, Angst: Kaufen, zögern, verkaufen. Das sind die treibenden Kräfte hinter den Handlungen der Marktteilnehmer … und damit auch hinter Kursbewegungen und ggf. sogar hinter mittelfristigen Trends. Und das umso mehr, je komplexer und in Bezug auf das, was kommt unsicherer die Rahmenbedingungen sind. Dann neigt man zu zwei Dingen:
Zum einen sucht man nach Vorlagen, so, wie sie der Februar 2022 liefern könnte, weil die Struktur der ersten Tage nach der Attacke auf die Ukraine der der ersten Tage nach dem Angriff auf den Iran ähnelt. Zum anderen schaut man, was die anderen tun in der Hoffnung, die könnten vielleicht wissen, wie es weitergeht. Beides klappt, wenn sich sehr viele so verhalten. Aber wenn nicht, dann nicht … und jeden Tag könnten die Kurse, auch, wenn wir jetzt tatsächlich auch in den kommenden Tagen beim DAX ähnlich laufen wie damals 2022, unverhofft eine ganz andere Entwicklung zeigen als bei der „Blaupause“.

Entscheidungen unter Ungewissheit … an der Börse ist das die Normalität
Dass man jetzt nicht sicher sein kann, womit man das Richtige tun würde, liegt in der Natur der Sache. Denn was verändert dieses aktive Eingreifen der USA an der Gemengelage? Wird man das Atomprogramm des Iran damit schnell und effektiv stoppen oder zumindest erheblich bremsen? Und ob das gelingt oder nicht, welche Folgen wird das in Bezug auf die militärische Auseinandersetzung haben? Wird die sich auf weitere Länder ausdehnen, indem der Iran jetzt US-Truppen im Nahen Osten attackiert, Terroraktionen durchführt, ggf. auch die Ölversorgung durch eine Blockade der Straße von Hormus in die Bredouille bringt oder nicht?
Wer heute oder in den kommenden Tagen entscheidet, in fallende Kurse zu kaufen, auszusteigen oder auch dieses neue, sich zuspitzende Risiko zu ignorieren, tut dies unter der völligen Ungewissheit, was sich aus dieser Situation und – in Bezug auf das eigene Depot – aus seiner Entscheidung ergeben wird.
Verschärft wird das dadurch, dass wir hier, wie auch 2022, noch weitere Baustellen haben, die zuletzt ignoriert wurden, ohne, dass es realistisch wäre zu glauben, dass sie sich dadurch erledigt hätten. 2022 waren das die Inflation und die Lieferkettenprobleme, 2025 sind es Trumps Zölle und die sich daraus erneut ergebenden Inflations- und Lieferkettenrisiken.
Hat man das realisiert wird auch automatisch klar, dass es völlig absurd wäre zu behaupten, man wüsste, wie sich DAX & Co in einer Woche oder in einem Monat darstellen werden. Es bleibt nur die (durchaus sinnvolle) Option, genau hinzusehen, was sich aus Verkaufswellen und Gegenbewegungen ergibt. Was übrigens eigentlich immer so ist, nur ist die Gesamtsituation aktuell eben brisanter und damit die denkbare Schwankungsbreite des Aktienmarkts größer als sonst.
Entscheidend ist, was nach Gegenreaktionen passiert
Wir hatten im Intraday-Chartbild gesehen, dass letzte Woche jede Abwärts-Kurslücke auf Käufe traf, die aber wiederum abverkauft wurden. Außer am Freitag, aber da könnte die große Abrechnung an der Terminbörse die Struktur der Bewegungen verzerrt haben. Wir hatten im DAX-Chart, der das Frühjahr 2022 zeigte gesehen, dass es zwar anfangs immer wieder Abwärts-Tage gab, dann aber eine Stabilisierung auftauchte, die keine neuen Tiefs mehr nach sich zog, das war in der ersten März-Hälfte.
Das beruhigte die Anleger damals und führte dazu, dass man den Ukraine-Krieg zu den anderen ignorierten Risiken ins Archiv stopfte und erst einmal weiter kaufte, bevor dann ab dem Sommer das Thema Leitzinserhöhungen hinzukam und die Inflationsraten immer gruseliger ausfielen. Das war dann zu viel, da siegte dann die Angst über die Gier und das Gesamtjahr 2022 endete bärisch.
Die Frage ist, wann es diesmal „zu viel“ in Bezug auf das „Ignoranz-Konto“ ist. Jetzt … oder muss es noch dicker kommen? Man kann es nicht wissen, dazu sind zu viele Menschen im Spiel, die allesamt in der Aktienmarkt-Suppe herumrühren … und oft nicht wirklich wissen, was sie tun, weil die unberechenbaren Emotionen den Löffel halten und keine ruhige, besonnene Hand.
Daher wird es jetzt sehr wichtig sein, ob auch die heute zu erwartende (Stand Sonntag 15 Uhr) schwache Eröffnung im DAX gekauft wird, und ob es dann gelingt, neue Tiefs zu verhindern.

Schafft es der deutsche Leitindex dann sogar wieder zurück über die Zone 23.275 zu 23.476 Punkte, wäre die Chance, dass es ein weiteres Mal gelungen ist, die Faktenlage von den Kursen fernzuhalten, groß. Geht die Folge neuer, kurzfristiger Tiefs aber weiter, wäre damit der Schritt von einem Rücksetzer hin zu einer ausgedehnten Korrektur vollzogen.
Ob die dann wiederum am Ende der Beginn einer mittelfristigen Abwärtswende war, weiß man immer erst, wenn Letztere vollzogen ist; das ist davon abhängig, was die Zukunft in Bezug auf Geopolitik, Inflation, Zölle und Wachstum bringt. Das kann man nicht wissen, muss es aber auch nicht.
Denn einen „großen Plan“ an der Börse zu haben heißt in aller Regel, sehr bald voll neben der Spur zu agieren, weil sich die Zukunft nicht darum schert, wie man sie gerne hätte. Man muss sich Schritt für Schritt vorantasten und immer wieder umschauen. In dieser Woche wird es darum gehen, ob der DAX sich fängt oder nicht. Nur das zählt für den Augenblick. Und dann, und damit haben erfahrene Investoren auch gar kein Problem, sieht man weiter und bewertet die Lage neu.
Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!
Ihr
Ronald Gehrt
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