Skip to main content
DAX
SX5E
SPX
NDX
EUR.USD
MDAX
TDX
INDU
Bitte wählen Sie:

Börse aktuell

Hier erfahren Sie, was an der Börse aktuell geschieht. Unser Börsenexperte Ronald Gehrt beobachtet täglich das aktuelle Börsengeschehen und fasst die neuesten Börsendaten und Börsenberichte wöchentlich für Sie zusammen. Mit Börse aktuell bringen wir die wichtigsten Börsennachrichten auf den Punkt und kommentieren, was momentan an der Börse los ist.

Börse: Aktuelle Nachrichten der Woche

Neues von der Börse: Unsere aktuellen Börsennachrichten informieren Sie jede Woche über die derzeitige Börsenentwicklung. Was beschäftigt die Börse? Was steht diese Woche an? Diktieren Bullen oder Bären die Märkte? Sollten Sie Ihre Investitionen erhöhen oder lieber Gewinne mitnehmen? Wir geben Ihnen die Antworten auf diese Fragen, wagen einen Ausblick auf die kommende Börsenwoche und bewerten anstehende Ereignisse, die Auswirkungen auf den Börsenverlauf haben könnten.


Börse aktuell vom 08.-14.12.2025

Das Hindenburg Omen: Crash-Orakel oder Mummenschanz?

Von

08.12.2025 | 07:00 Uhr
In diesem Artikel
S&P 500
ISIN: US78378X1072
|
Ticker: SPX --- %

--- Punkte
---% (1D)
1 W ---
1 M ---
1 J ---
Gültigkeit der Analyse
1 Woche
Erwartung: Neutral
Zum S&P 500

Die Analysen von Ronald Gehrt basieren auf einer Kombination fundamentaler Fakten und Daten mit der aktuellen chart- und markttechnischen Situation des/der hier vorgestellten Index/Rohstoffs/Währungspaars/Aktie. Bilanz- und Konjunkturdaten sowie wirtschafts- und finanzpolitische Fakten, Nachrichten und/oder Statements werden als Grundlage zur Beurteilung der charttechnischen und markttechnischen Perspektive des untersuchten Werts analysiert.

In letzter Zeit taucht der Begriff „Hindenburg Omen“ öfter in Meldungen über die Aktienmärkte auf. Allein der Name klingt nach dunklen Wolken über den Kursen … und das soll auch so sein. Die Frage ist aber, ob dieses „Omen“ wirklich etwas taugt. Worum es sich hier handelt und wie man das „Hindenburg Omen“ aus meiner Sicht einordnen könnte, sehen wir uns in diesem Beitrag an.

Zunächst einmal ist diese Bezeichnung „Hindenburg Omen“ ein Kunstwort, d. h. diese Indikation, die vor einem nahen Crash warnen soll, leiht sich zwar den Bezug auf die Brandkatastrophe in Lakehurst 1937, als das deutsche Luftschiff Hindenburg Feuer fing und am Landemast abstürzte, aber das ist letztlich nur so, um der Sache einen dramatischen Namen zu geben. Weder hat die Sache an sich mit Zeppelin-Unglücken zu tun noch ist dieses Warnsignal damals, zum Zeitpunkt des Hindenburg-Unglücks, erstmalig aufgetaucht. Zu dieser Zeit gab es dazu nicht einmal die nötige Datenerfassung.

Diese Indikation ist auch noch nicht besonders alt, sie wurde von einem US-Mathematiker namens Jim Miekka vermutlich um die Jahrtausendwende entwickelt. Aber die entscheidende Frage ist, warum dieses „Omen“ regelmäßig in den Börsenmedien auftaucht. Ist es, weil es oft entsteht und eine hohe Zuverlässigkeit hat … oder weil es so dramatisch klingt? Um der Sache gleich ein wenig die Spannung zu nehmen: Ich fürchte, es liegt an Letzterem. Um die Spannung aber ebenso hurtig wieder hochzufahren: Das heißt nicht, dass das Hindenburg Omen nichts taugen würde. Doch, das tut es. Man muss es nur richtig einzuordnen wissen.

Wie entsteht ein „Hindenburg Omen“: Die vier Komponenten dieser Indikation

Das Hindenburg Omen ist kein einzelner Indikator, sondern ergibt sich aus dem Eintreten von vier Bedingungen, die sich aus einzelnen, bereits zuvor existierenden Indikationen ableiten. Die da wären:

Erstens müssen die Zahl der neuen 52-Wochen-Hochs und die Zahl der neuen 52-Wochen-Tiefs am betreffenden Handelstag beide höher liegen als 2,8 Prozent der an der NYSE (der New York Stock Exchange) gelisteten Aktien.

Zweitens muss der 50-Tage-Durchschnitt der NYSE bzw. des die dort gelisteten Aktien erfassenden NYSE Composite Index steigen und der Index selbst höher notieren als vor 50 Tagen.

Drittens muss der McClellan-Oszillator fallen. Das ist eine Art MACD-Indikator, der die Dynamik der Veränderung der Differenz zwischen steigenden und fallenden Aktien an der NYSE abbildet. Damit zeigt er ein „softeres“, geglättetes Bild der Veränderung zwischen der Zahl steigender und fallender Aktien. Diesen Oszillator kann ich nicht mit meinen Charts abbilden, dazu kann meine Datenbank nicht die nötigen Berechnungen anstellen, aber Sie finden die Berechnungen bzw. den aktuellen Stand des Indikators hier: https://www.mcoscillator.com/market_breadth_data/. Aktuell fällt der Oszillator tatsächlich, diese Bedingung für ein Hindenburg Omen wäre also erfüllt.

Und Viertens darf die in Bedingung 1 bereits im Raum stehende Zahl neuer 52-Wochen-Hochs nicht mehr als doppelt so hoch sein wie die der neuen 52-Wochen-Tiefs.

Börse aktuell: Entwicklung NYSE Composite im Jahr 2025 | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung NYSE Composite im Jahr 2025 | Quelle: marketmaker pp4

Haben wir aktuell ein Hindenburg Omen?

Klopft man diese vier Bedingungen ab und alle treffen zu, hat der entsprechende Handelstag ein Hindenburg Omen geliefert. Aber das wiederum wird nur zu einem gültigen Signal, wenn innerhalb von 36 Handelstagen ein weiteres Hindenburg Omen entsteht.

Aktuell steigt die 50-Tage-Linie des NYSE Composite, zugleich liegt der Index höher als vor 50 Tagen. Die 52-Wochen-Hochs und die 52-Wochen-Tiefs lagen am Freitag beide über der Schwelle von 2,8 Prozent der an der NYSE gelisteten Unternehmen. Der McClellan-Oszillator fiel. Aber Bedingung Nummer 4, die besagt, dass die Zahl der 52-Wochen-Hochs nicht mehr als doppelt so hoch sein darf wie die der 52-Wochen-Tiefs, ist NICHT erfüllt, denn sie ist beinahe dreimal so hoch (213 zu 72). Also: Nein, momentan gibt es kein Hindenburg Omen.

Warum diese Zusammensetzung wirr wirkt, es aber nicht ist

Gut, zugegeben, im ersten Moment wirkt das alles wie Hokuspokus. Das sind alles Indikationen, die man sich als normaler Anleger nie oder so gut wie nie anschaut. Und man könnte argwöhnen, dass das anders wäre, wenn sie wirklich taugliche Wegweisungen wären. Außerdem wurde dieses „Omen“ deswegen von manchen so gepriesen, weil es den großen Crash von 1987 vorhergesagt hätte. Wenn es das Hindenburg Omen damals schon gegeben hätte. Hat es aber nicht, daher ist dieser Treffer einer, der nur über einen Backtest ermittelbar ist. Und da liegt der Verdacht nahe, dass sich der Entwickler einfach ein paar Indikatoren zusammengemixt hat, die kurz vor dem 1987er Crash brenzlig aussahen und diese – für die Entwicklung von Signalen nicht korrekte – Arbeitsweise trotzdem als wegweisend pries.

Und warum es ausgerechnet 36 und nicht 30 oder 50 Tage sein sollen, in denen ein zweites Omen auftauchen muss und überhaupt, wieso es nach zwei Omen zu einem bärischen Warnsignal kommt und nicht schon nach einem oder erst nach drei: Das erschließt sich mit Logik nicht.

Aber trotzdem ist diese Kombination aus vier absurd wirkenden Signalen alles andere als untauglich … wenn man sie als das nutzt, was sie ist: ein Hinweis bzw. Warnsignal. Ein Hindenburg Omen ist kein unmittelbares Verkaufssignal. Aber es war als solches auch nie angedacht worden.

Was diese Indikationen aussagen, wenn sie zusammen eintreten, ist: Mit der internen Struktur des Aktienmarkts stimmt was nicht. Denn was messen wir hier denn genau? Wir messen den „internen Gesundheitszustand“ des US-Aktienmarkts. Denken wir das mal durch:

Börse aktuell: Entwicklung Anzahl neuer Hochs von an der NYSE gelisteten Aktien von 2020 bis 2025 | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung Anzahl neuer Hochs von an der NYSE gelisteten Aktien von 2020 bis 2025 | Quelle: marketmaker pp4

Der Sinn hinter den vier Bedingungen

Wenn zugleich auffallend viele Aktien an der New York Stock Exchange neue Hochs und zugleich ebenso auffallend viele neue Tiefs ausbilden, ist das ziemlich ungewöhnlich und deutet an, dass die Marktbreite einer Aufwärtsbewegung zu klein wird. Einfach, weil zu viele Aktien bei einem steigenden Markt fallen. Was z.B. andeuten könnte, dass kaum oder kein frisches Kapital in den Markt fließt, sondern Anleger schwache Aktien verkaufen, um auf den Zug der starken Titel aufspringen zu können, weil sie das sonst wegen einer bereits aufgebrauchten Barreserve nicht könnten.

Das wäre aber dann – zumindest noch – kein unmittelbares Warnsignal, wenn die Zahl der neuen 52-Wochen-Hochs sehr deutlich über der der neuen 52-Wochen-Tiefs läge, das ist der Sinn der Bedingung Nummer 4. Denn dann hätte der Markt noch genug „Aufwärts-Zugkraft“.

Da dieses Omen nur dann ein Warnsignal sein kann, wenn der Gesamtmarkt tatsächlich vom Trend her in einer Hausse ist, gilt ein Omen nur, wenn die 50-Tage-Linie des NYSE Composite Index steigt. Wobei der Index zusätzlich selbst über dem Kurs vor 50 Handelstagen liegen muss. Denn grundsätzlich könnte die Durchschnittslinie ja noch steigen, wenn der Index bereits unter sie gerutscht ist, dann wäre ein Omen aber nicht mehr gültig bzw. relevant, weil der Markt ja schon vorher begonnen hat, zu fallen.

Und ein fallender McClellan-Oszillator würde indizieren, dass nicht nur für ein paar wenige Tage, sondern schon eine Zeit lang mehr Aktien am Markt fallen als steigen. Das wirft einen Blick auf die Ratio steigender/fallender Aktien (Advance/Decline-Ratio), die man nur so erkennen kann, denn die neuen Hochs und Tiefs messen ja nur die extrem steigenden/fallenden Aktien, nicht die ganze Breite des Marktes. Insgesamt hätte man bei Eintreten eines solchen Hindenburg Omens also folgendes Bild:

Börse aktuell: Entwicklung Anzahl neuer Tiefs von an der NYSE gelisteten Aktien von 2020 bis 2025 | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung Anzahl neuer Tiefs von an der NYSE gelisteten Aktien von 2020 bis 2025 | Quelle: marketmaker pp4

Die Kernaussage des Hindenburg Omens und wie man damit umgehen könnte

Der Eindruck entsteht, dass der insgesamt, auf den Gesamtmarkt bezogen, noch intakt wirkende Anstieg in sich instabil geworden ist, weil immer weniger Aktien stark steigen, die Mehrheit der am Gesamtmarkt gelisteten Aktien aber bereits fällt und einige, siehe die relativ hohe Zahl an 52-Wochen-Tiefs, sogar schon stark. Und ja, das ist ganz und gar nicht gut. Aber nein, deswegen sofort auszusteigen, ergäbe keinen Sinn, denn:

So etwas kann ziemlich lange gutgehen. Aktuell zum Beispiel wird die Hausse des US-Aktienmarkts in der Tat nur von eher wenigen Aktien getragen, die dafür umso drastischer steigen. Dass diese Kurssteigerungen darüber hinaus auch auf einem „Hype“ (den in Sachen KI) basieren und extrem viel Geld in Investitionen und die Aktien der investierenden Unternehmen fließt, ohne dass man sicher sein könnte, dass sich dieser monetäre Budenzauber am Ende wirklich auszahlt, macht die Sache nur noch brenzliger. Aber das läuft eben schon seit Monaten in dieser Intensität.

Also, ignorieren? Nein, das wäre aus meiner Sicht keine gute Idee. Nur sollte man eben erkennen: Nicht nach jedem doppelten Hindenburg-Omen (also einem, das binnen 36 Tagen von einem zweiten bestätigt wurde) kam in der Vergangenheit ein Crash oder auch nur eine größere Korrektur. Aber anders herum sieht es anders aus: Wenn es zu großen Korrekturen kam, waren sehr oft Hindenburg Omen davor aufgetaucht.

Also sollte man, wenn man ein solches Omen am US-Markt sieht, zumindest vorsichtiger werden. Das innere Ungleichgewicht ist dann da. Es muss sich nicht auswirken, aber es kann, also würde es nicht schaden, den Helm in diesem Fall ein wenig fester zu zurren. Für den faktischen Ausstieg aber gibt es ja genug andere, chart- und markttechnisch basierte Indikationen wie gleitende Durchschnitte, Trendlinien oder Trendwendeformationen. Aber als unmittelbares Ausstiegssignal war diese Indikation mit diesem theatralischen Namen auch nie gedacht, es wirkt auf viele nur so. Eben dieses Namens wegen.

Übrigens: Bei uns ist diese Methodik schwieriger einsetzbar, einfach, weil wir zwar auch einen „Composite Index“ in Form des derzeit etwa 340 Titel umfassenden CDAX haben, für den aber Daten wie neue 52 Wochen-Hochs und 52-Wochen-Tiefs oder ein McClellan Oszillator nicht so leicht zu bekommen sind wie für den NYSE Composite Index. Aber solange die US-Märkte ihre Rolle als Taktgeber der Weltbörsen beibehalten, ist es als Warnhinweis allemal ausreichend zu wissen, dass es jenseits des Atlantiks gerade zu einem Hindenburg Omen kam.

Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!

Ihr

Ronald Gehrt

Der Inhalt dieses Artikels wurde erstellt am 06.12.2025 um 21:42 Uhr. Sofern nicht anders angegeben, beabsichtigen wir nicht, diesen Artikel zu aktualisieren. In Zukunft können aber Analysen zum selben Finanzinstrument veröffentlicht werden.

Nach dem Abitur 1984 studierte der gebürtige Hamburger an der Universität der Bundeswehr Betriebswirtschaftslehre. Im Anschluss an seine Dienstzeit als Offizier begann seine Zeit als Analyst und Finanzjournalist. Seit 1996 war und ist er als Redakteur, Referent und Kolumnist in zahlreichen Funktionen aktiv, seit 2016 ist er unter anderem Analyst bei LYNX. Gehrt ist ein Allrounder, der in der fundamentalen, d.h. volks- und betriebswirtschaftlichen Analyse ebenso sattelfest agiert wie in den verschiedenen Disziplinen der Technischen Analyse wie Chart- und Markttechnik und Sentinentanalyse.

Nachricht schicken an Ronald Gehrt
  • Dieses Feld dient zur Validierung und sollte nicht verändert werden.
Firmendepot für Kapitalgesellschaften

Sie möchten ein Depot für Ihre GmbH, AG oder UG eröffnen und Betriebsvermögen in Wertpapieren anlegen? Informieren Sie sich jetzt über unser Wertpapierdepot für Geschäftskunden: Mehr zum Firmendepot über LYNX



Börse aktuell: DAX, Dow Jones und Co.

Die heutigen Top-News und Börsenmeldungen zum DAX und der Börse USA mit dem Dow Jones, dem Nasdaq und dem S&P 500 als weltweit einflussreiche Indizes bilden einen Schwerpunkt unserer aktuellen Berichterstattung von der Börse. Auch gute Aktien, die momentan sehr stark im Fokus der Anleger stehen und steigende Börsenkurse prophezeien, werden wir Ihnen hier vorstellen. So bekommen Sie einen umfassenden Börsenausblick und können Ihre eigenen Börsenprognosen verifizieren oder falsifizieren.

Börse: Aktuelle Entwicklung und Trends

Die aktuelle Entwicklung und der aktuelle Trend an der Börse werden maßgeblich von Wirtschaftsnachrichten, Konjunkturdaten und Neuigkeiten von börsennotierten Unternehmen bestimmt. Diese wirken sich nicht nur auf Aktienkurse aus, sondern auch auf andere Assetklassen wie börsengehandelte Fonds, Optionen und Futures. Des Weiteren werden durch Börsennachrichten auch die Anleihemärkte und Rohstoffmärkte in Bewegung versetzt. Daher haben wir auch die Zinsen, den Ölpreis und Goldpreis immer im Blick.

Börse: Aktuelle Tipps zum Marktgeschehen

Neben Börsennews bekommen Sie auch hilfreiche Tipps, um das gegenwärtige Marktgeschehen besser zu interpretieren. Der Börsenmarkt setzt sich aus vielen verschiedenen Märkten zusammen. Jedes Land, jede Branche und jedes Finanzprodukt wird von individuellen Faktoren beeinflusst, sodass es schwierig ist, alle Märkte mit ihren jetzigen Chancen und Risiken zu verfolgen und zu analysieren. Mit Börse aktuell liefert Ihnen unser Börsenprofi die Börseninformationen, die wirklich wichtig sind, und zugleich eine kompakte Börsenvorschau der Woche.

Börse aktuell: Die letzten Nachrichten

Gültigkeit der Analyse: 1 Woche
Erwartung: Neutral
Sofern nicht anders angegeben, beabsichtigen wir nicht, diesen Artikel zu aktualisieren. In Zukunft können aber Analysen zum selben Finanzinstrument veröffentlicht werden.

Dieser Tage beginnt die Phase der Halbjahresbilanzen. Aber es ist auch der Moment, in dem Donald Trumps zweite Amtszeit ihr erstes Halbjahr absolviert hat. Dabei erscheint das Verhalten der Aktienmärkte in Relation zu Trumps Politik seltsam optimistisch was im Rahmen der schleichenden, täglichen Veränderungen weniger auffällt, in einem Vorher-Nachher-Vergleich aber schon. Es ist aber durchaus erklärbar, wenn man weniger darauf schaut, was er tut, sondern wie er es tut.

Im Wahlkampf ebenso wie in den Wochen zwischen der Wahl im November 2024 und seinem Amtsantritt am 20. Januar 2025 verkündete Donald Trump, dass er so viel in allerkürzester Zeit erreichen werde wie noch kein Präsident vor ihm, nicht einmal wie er selbst in seiner ersten Amtszeit. Er wollte den Ukraine-Krieg beenden, den Nahost-Konflikt befrieden, das Handelsbilanzdefizit beseitigen, mehr Arbeit und mehr Einkommen für alle schaffen, die Steuern senken, die Zinsen gleich mit, die Migrationsproblematik lösen und damit in kürzester Zeit ein Amerika schaffen, das seinen Vorstellungen von erstrebenswert entspricht. Wir wissen: Jetzt, nach einem halben Jahr, ist davon fast nichts erreicht worden.

Das können auch die Bullen am US-Aktienmarkt nicht übersehen … zugleich sieht man ein ums andere Mal, wie der US-Präsident sein Amt zur eigenen Bereicherung ausnutzt und fast komplett ohne den US-Kongress regiert, als sei er ein absolutistischer Herrscher. Trotzdem wirkt es, als würde man seitens der Anleger gerade ein für eine Hausse perfektes Szenario handeln. Eines, das bislang nicht existiert und, nüchtern betrachtet, wohl kaum erreicht wird. Wieso ist man am Aktienmarkt an der Börse aktuell derart guter Dinge?

Die Performance der US-Indizes: Gefühlt: grandios. Real: geht so.

Das ist man eigentlich gar nicht, es fühlt sich nur so an. Vor allem, weil der bislang einzige, drastische Kurseinbruch als Folge von Mr. Trumps Vorstellung von Handelspolitik so rasant aufgeholt wurde und sich die Indizes dadurch wieder im Rekord-Terrain bewegen. Denn misst man die Performance ab Amtsantritt am 20. Januar 2025, kommt man für den Dow Jones auf etwa drei, für den S&P 500 auf fünf und für den Nasdaq 100 auf acht Prozent Kursanstieg. Das ist für ein halbes Jahr in Relation zum langjährigen Mittel sogar unterdurchschnittlich. Und nimmt man die Entwicklung ab dem Wahltag, dem 5. November 2024, so kommen da fünf, neun und vierzehn Prozent Plus zusammen. Auch nicht unbedingt grandios … aber es fühlt sich eben ziemlich bullisch an. Die Frage ist:

Börse aktuell: Entwicklung Dow Jones während der Amtszeiten von Donald Trump | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung Dow Jones während der Amtszeiten von Donald Trump | Quelle: marketmaker pp4

Wieso sind die Kurse überhaupt nahe am oder auf Rekordniveau, wenn doch Trumps Versprechen, alles ruckzuck zum Besten zu wenden, nicht eingelöst wurden? Sehen wir uns in den folgenden Charts einmal an, wo es überall nicht so läuft, wie es für seine stabile Aktien-Hausse laufen müsste:

Bislang kaum echte Effekte der „Zoll-Strategie“

Eines von Donald Trumps Lieblingsprojekten sind die Zölle. Damit will er erreichen, dass die US-Bürger mehr in den USA hergestellte Waren kaufen, die ausländischen Anbieter vom Markt zurückdrängen und den heimischen Unternehmen Vorteile bieten. Problem dabei: Erstens sind viele US-Hersteller auf Zulieferteile aus dem Ausland angewiesen und/oder haben ihre Produktion seit Jahren im Ausland. Zweitens wirken die Zölle ja letztlich wie eine Steuer, die entweder die US-Importeure oder die US-Verbraucher zahlen. Natürlich weniger, wenn die Exporteure ihre Preise senken würden, um Umsatzeinbußen zu minimieren. Aber das ist – in den Dimensionen, um die es bei diesen Einfuhrzöllen geht – kaum möglich.

Zugleich soll das massive US-Handelsbilanzdefizit verringert, im Idealfall sogar in einen Überschuss verwandelt werden, d. h., dass die USA dann mehr exportieren, statt importieren. Und Trump will mit den Zolleinnahmen den Staatshaushalt entscheidend mitfinanzieren. Bislang zeigen sich da aber keine wirklich vertrauenerweckenden Effekte.

Börse aktuell: Entwicklung der Handelsbilanz der USA während der Amtszeiten von Donald Trump | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung der Handelsbilanz der USA während der Amtszeiten von Donald Trump | Quelle: marketmaker pp4

Zwar klingt es wie ein gewaltiger Erfolg, wenn die US-Zolleinnahmen im ersten Halbjahr mit 87,2 Milliarden US-Dollar meilenweit über denen des Vorjahres liegen. Alleine im zweiten Quartal nahmen die US-Zollbehörden 50 Milliarden US-Dollar mehr ein als im Vorjahreszeitraum. Aber 87,2 Milliarden in sechs Monaten stehen, nur als Beispiel-Zahl, einem Schuldenstand des Staates von, Stand Juni, 36,2 Billionen US-Dollar gegenüber. Um das nennenswert zu reduzieren, bräuchte es sehr viele Jahre mit sehr viel höheren Zolleinnahmen. Und auch den Anlegern sollte eigentlich klar sein, dass diese Milliarden aus den Taschen der US-Verbraucher kommen und in das Staatssäckel fließen, nicht aus den Kassen der Hersteller. Und was die Regierung dann mit den Zolleinnahmen tut, muss keineswegs allen US-Bürgern zugutekommen.

Börse aktuell: Entwicklung der US-Importe von 2011 bis 2025 | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung der US-Importe von 2011 bis 2025 | Quelle: marketmaker pp4

Zudem fällt auf, dass Donald Trump zwar tönte, er habe mit dieser cleveren Strategie das Handelsbilanzdefizit halbiert. Aber die beiden vorstehenden Grafiken machen klar, dass der vorherige Rekord ja letztlich auf seinem Mist gewachsen war, denn da hatten die internationalen Unternehmen bzw. die US-Importeure wegen der absehbaren Zölle so viel wie möglich in die USA geschafft, bevor es massiv teurer würde. Diese Welle an Vorab-Importen zu halbieren heißt dann eben nur, dass jetzt wieder ein Niveau beim Handelsbilanz-Defizit erreicht wurde, was in den Jahren der Biden-Administration normal war. In Trumps erster Amtszeit war dieses Defizit, die obere Grafik zeigt das, übrigens deutlich geringer.

Die US-Verbraucher bleiben vorsichtig, die Trader sind es nicht

Hinzu kommt, dass dieses Zoll-Theater ja noch nicht vorbei ist. Und wann da der Vorhang des letzten Akts fällt, weiß niemand. Aktuell steuern wir auf das Ende der Frist nach der Frist zu. Aber wie sich das alles nach dem 1. August darstellt, weiß man nicht. Dementsprechend gedrückt ist die Stimmung unter den US-Konsumenten, da bewegen wir uns, auch, wenn sich die Gemütslage offenbar vom Tief des Aprils gelöst hat, auf einem Level, das wir zuletzt auf dem Höhepunkt der Corona-Krise und der Phase der damaligen Lockdowns gesehen haben.

Börse aktuell: Entwicklung US-Konsumentenvertrauen während der Amtszeiten von Donald Trump | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung US-Konsumentenvertrauen während der Amtszeiten von Donald Trump | Quelle: marketmaker pp4

Und der Konsum als Rückgrat des Wachstums? Zumindest die Umsätze im Einzelhandel kommen nicht so daher, als hätten die US-Bürger jetzt Vertrauen in bald anbrechende, goldene Zeiten gefasst. Zwar war der US-Einzelhandelsumsatz im Juni stärker angestiegen als seitens der Volkswirte erwartet. Aber eine Jahresrate von +3,9 Prozent ist nur Durchschnitt … zumal diese Umsätze nicht inflationsbereinigt sind. Zieht man die Teuerungsrate von offiziell zuletzt 2,7 Prozent ab, bleibt da nichts, das man als nennenswertes Wachstum ansehen könnte.

Börse aktuell: Entwicklung US-Einzelhandelsumsatz von 2016 bis 2025 | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung US-Einzelhandelsumsatz von 2016 bis 2025 | Quelle: marketmaker pp4

Warum Donald Trump so dringend massive Zinssenkungen bräuchte

Das weiß auch der US-Präsident. Und er weiß auch, wie er das ausbleibende Wachstum auf Touren bringen könnte: mit billigem Geld. Würden die US-Bürger wieder spottbillige Kredite aufnehmen können, würde das viel ändern. Mittelfristig zwar keineswegs zum Guten, immerhin sind steigende Schulden ein permanentes Risiko in Schwächephasen der Wirtschaft und treiben die Inflation hoch. Zumal die US-Bürger insgesamt sowieso schon überschuldet sind. Aber um zeigen zu können, dass seine Politik Wachstum erzeugt, braucht er einen Run in Kredite. Und da steht ihm die US-Notenbank derzeit im Weg.

Börse aktuell: Entwicklung der Rendite von US-Staatsanleihen mit 10 Jahren Laufzeit während der Amtszeiten von Donald Trump | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung der Rendite von US-Staatsanleihen mit 10 Jahren Laufzeit während der Amtszeiten von Donald Trump | Quelle: marketmaker pp4

Aber sollte es ihm gelingen, die Kontrolle über die Geldpolitik zu erlangen, hätte er gleich ein ganz anders, noch größeres Problem: Die internationalen Investoren, aber zweifellos auch sehr viele US-Investoren würden zusehen, dass sie ihr Investitionskapital aus dem Land schaffen. Denn in diesen Kreisen weiß man, dass es mit Donald Trumps Sachverstand in Sachen Volkswirtschaft, Fiskal- und Geldpolitik nicht weit her ist, er zugleich aber von Fachleuten keinerlei Rat annimmt.

Börse aktuell: Entwicklung NYSE Composite und US-Verbrauchervertrauen von 2016 bis 2025 im Vergleich | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung NYSE Composite und US-Verbrauchervertrauen von 2016 bis 2025 im Vergleich | Quelle: marketmaker pp4

Das alles ist also eigentlich kein Umfeld, in dem die US-Aktienmärkte auf Rekordniveau notieren müssten. Das braucht Wachstum bei den Unternehmensgewinnen, um solide zu sein. Und die Unternehmensgewinne wachsen normalerweise nur – und mittelfristig immer nur – wenn die Verbraucher optimistisch sind und deswegen mehr ausgeben. Das sehen wir auch an dem normalerweise engen Gleichlauf von Verbraucherstimmung und Aktienmarkt. Doch seit Ende 2022 laufen diese beiden Indikationen auseinander … und seit Anfang 2025 besonders stark.

Wie kann das angehen? Wie gelingt es Donald Trump, den Aktienmarkt oben zu halten … was er muss, weil starke Verluste dort und damit Einbußen beim Ersparten vieler US-Bürger den Konsum und mit ihm das Wachstum erst recht drücken würden?

Die bewährten Tricks der ersten Amtszeit funktionieren erneut

Indem er eine Vorgehensweise kultiviert, die er bereits bei seiner ersten Amtszeit eingesetzt hatte, z.B. in Bezug auf den Handelskrieg mit China damals oder den Bau der Mauer an der mexikanischen Grenze:

Er stellt erst einmal eine extreme Drohung in den Raum. Dabei kalkuliert er durchaus eine schockierte Reaktion ein, aber: Dann relativiert er dieses Extrem. Dadurch bekommen die Anleger das Gefühl, es sei etwas ganz Hervorragendes passiert, obwohl er nichts anderes getan hat, als etwas völlig Negatives auf etwas ein bisschen weniger Negatives herunterzufahren. Und er lässt offen, wie es weitergeht, tut so, als gäbe es Deadlines und löst die dann immer wieder auf.

Genau das hat er in Bezug auf die Zölle getan und gibt den Anlegern dadurch das Gefühl, das werde alles in Kürze ganz toll laufen. Zumal er, so wie damals 2017 und fortfolgend mit China, die Trader immer wieder „animiert“, indem er regelmäßig erklärt, herausragende, grandiose „Deals“ würden in allernächster Zeit verkündet. Dass da weit weniger kommt als man hoffen mochte und das, was kommt, oft eher eine Mogelpackung ist: Wen kümmert’s, solange der Trend noch nach oben weist!?

Börse aktuell: Entwicklung S&P 500 von Januar bis Juli 2025 | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung S&P 500 von Januar bis Juli 2025 | Quelle: marketmaker pp4

Aber es gibt ein gewaltiges Damoklesschwert bei dieser Trump’schen Strategie: Irgendwann muss er eben wirklich etwas vorzeigen können, das taugt, das rational gesehen eine Verbesserung ist und Wachstum schafft statt Inflation und Sorgen.

Und das kann er nur, wenn genug Handelspartner auf seine Forderungen eingehen, sprich auf die Knie fallen. Wenn genug ausländische und heimische Unternehmen wirklich ihre Produktion in die USA verlegen. Und wenn das Geld billiger wird, sprich er die Leit- und Kreditzinsen nach unten bekommt. Und wer sich von dieser durchaus cleveren Strategie des „vor und zurück“ und des „bald, bald“ zu lösen vermag, dürfte schnell erkennen: So wirklich wahrscheinlich ist es nicht, dass all das so hinhaut. Wir dürfen gespannt sein, was das zweite Halbjahr seines ersten Jahres im „second term“ im Oval Office bringen wird!

Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!

Ihr

Ronald Gehrt

Über den Autor

Nach dem Abitur 1984 studierte der gebürtige Hamburger an der Universität der Bundeswehr Betriebswirtschaftslehre. Im Anschluss an seine Dienstzeit als Offizier begann seine Zeit als Analyst und Finanzjournalist. Seit 1996 war und ist er als Redakteur, Referent und Kolumnist in zahlreichen Funktionen aktiv, seit 2016 ist er unter anderem Analyst bei LYNX. Gehrt ist ein Allrounder, der in der fundamentalen, d.h. volks- und betriebswirtschaftlichen Analyse ebenso sattelfest agiert wie in den verschiedenen Disziplinen der Technischen Analyse wie Chart- und Markttechnik und Sentinentanalyse.

Analysemethode

Die Analysen von Ronald Gehrt basieren auf einer Kombination fundamentaler Fakten und Daten mit der aktuellen chart- und markttechnischen Situation des/der hier vorgestellten Index/Rohstoffs/Währungspaars/Aktie. Bilanz- und Konjunkturdaten sowie wirtschafts- und finanzpolitische Fakten, Nachrichten und/oder Statements werden als Grundlage zur Beurteilung der charttechnischen und markttechnischen Perspektive des untersuchten Werts analysiert.

Gültigkeit der Analyse: 1 Woche
Erwartung: Neutral
Sofern nicht anders angegeben, beabsichtigen wir nicht, diesen Artikel zu aktualisieren. In Zukunft können aber Analysen zum selben Finanzinstrument veröffentlicht werden.

Die vergangene Handelswoche war gespickt mit ernüchternden Daten und Ereignissen. Trotzdem legten die Aktienmärkte in Europa und den USA weiter zu. Dabei klemmt es in allen vier entscheidenden Bereichen, die eine Hausse normalerweise begleiten müssten. Das bullische Lager lebt von einem einzigen Joker, der sie im Spiel hält. Aber diese Karte ist ebenso mächtig wie riskant.

Das war mehrheitlich nicht gerade toll, was letzte Woche so alles über die Nachrichtenticker lief. In Sachen Zölle tat sich nichts, ein Telefonat des US-Präsidenten mit dem Xi Jinping brachte wenig – außer dass China den US-Autobauern jetzt befristet wieder Zugang zu seltenen Erden ermöglicht. Anderen Branchen aber scheinbar nicht. Ein Telefonat Trumps mit Putin brachte keinen Fortschritt. Die Quartalsbilanz von Broadcom als wichtigem KI- und Halbleiterunternehmen sorgte für Abgaben bei der Aktie. Die Einkaufsmanagerindizes deuteten keine Belebung des Wachstums an. Hierzulande kamen enttäuschende Daten zu Industrieproduktion und Exporten im April. In den USA fielen die Arbeitsmarktdaten bestenfalls gemischt aus, denn leicht über den Prognosen liegende neue Arbeitsplätze standen einer großen Abwärtskorrektur der neuen Jobs für März und April gegenüber, außerdem stieg der durchschnittliche Stundenlohn stärker als erwartet.

Und dann, als Krönung einer eher miesen Woche, entzweiten sich Trump und Musk, wobei Tempo und Dimension der Eskalation des Streits wirtschaftliche, aber vor allem politische Folgen haben können. Aber die Aktienindizes, ob DAX oder Euro Stoxx 50, ob Dow Jones oder Nasdaq 100, legten trotzdem zu. Das wirkt, als würden sie sich in einer andren Welt bewegen. Und so ist es auch.

Börse aktuell: Entwicklung Nasdaq 100 von Mai bis Juni - Negatives wird weggekauft | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung Nasdaq 100 von Mai bis Juni – Negatives wird weggekauft | Quelle: marketmaker pp4

Der typische Weg vom vorsichtigen Versuch bis zum permanenten Anspruch

Vor 60, 70 Jahren war es etwas ganz Besonderes, im Ausland seinen Urlaub zu verbringen. Und wenn, dann war es Österreich oder Italien mit dem Käfer, nicht die Malediven mit dem Flieger. Doch aus dem Besondern wurde schnell etwas Normales. Immer mehr machten immer weitere und teurere Reisen. So wurde das über die Jahre hinweg zur Gewohnheit und heute für viele zu einem „Anspruch“.

Dieser Weg von einem ersten, noch vorsichtigen Test über die durch positive Eindrücke beförderte Gewöhnung hin zum Anspruch sehen wir auch an den Aktienmärkten.  Je länger es gutgeht, desto mehr Anleger hoffen nicht auf Gewinne, sie erwarten sie. Viele haben eine echte Baisse nie erlebt. Und selbst wenn man darüber lesen, sprich sich das eigentlich unabdingbare Grundwissen eines Anlegers aneignen würde: Wenn man solche Phasen nicht selbst miterlebt hat, ist der Lern- und Warneffekt eher gering, das Hier und Heute wiegt schwerer. Und sie sehen es im Chart des S&P 500 über die letzten 40 Jahre:

Börse aktuell: Entwicklung S&P 500 von 1985 bis 2025 - Die Hausse als Anspruch und Normalität | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung S&P 500 von 1985 bis 2025 – Die Hausse als Anspruch und Normalität | Quelle: marketmaker pp4

2022 war zwar ein schwaches Jahr, aber es dauerte nicht lange, bis die Verluste aufgeholt waren. Die letzte Baisse, bei der es Jahre dauerte, bis man die alten Hochs überbot, reicht ins Jahr 2008 zurück. Lange genug her, um aus dem Bewusstsein zu rutschen oder dort gar nicht erst aufzutauchen. Heute sind steigende Kurse für viele keine erfreuliche Entwicklung in einem unsicheren Umfeld, sondern eine Selbstverständlichkeit.

Dabei führen fehlende Erfahrung, fehlendes Fachwissen und der mit Gewöhnung und Anspruch einhergehende Leichtsinn dazu, dass sehr vielen vermutlich nicht bewusst ist, dass sie hier gerade ein äußerst riskantes Spiel spielen, weil ihnen die vier Trümpfe, von denen man mindestens zwei oder drei für eine umfassende und ggf. risikoreichere, gehebelte Positionierung am Aktienmarkt in Händen halten sollte, allesamt fehlen.

Grand Hand ohne vier: Den Bullen fehlen derzeit alle Trümpfe

Es ist wie beim Skat. Ein „Grand“, bei dem nur die vier Buben als Trumpf fungieren, bringt, wenn man ihn gewinnt, mehr Punkte ein. Lässt man die zwei Karten, mit denen man Alternativen ins Spiel bringen könnte, liegen, bringt es noch mehr. Und hat man von den vier Trümpfen keinen einzigen selbst, wird ein Sieg umso mehr vergoldet. Das ist dann ein „Grand Hand ohne vier“ … ein grandioses Spiel, wenn man gewinnt. Fatal, wenn man es verliert. Und um so etwas zu gewinnen, sollte man als Spieler wirklich etwas draufhaben. Was sind diese vier „Trümpfe“, sprich die vier Faktoren, die man auf seiner Seite haben sollte, wenn man bullisch agiert?

1. Ein verlässliches, stabiles Umfeld. Politisch wie geopolitisch, in Bezug auf Investitionsanreize, Besteuerung und rechtliche Grundlagen. In einem solchen Umfeld kann die Wirtschaft prosperieren, was die Abwärtsrisiken für Investoren, insbesondere am Aktienmarkt, überschaubar hält. Haben wir das? Seit Donald Trumps Amtsantritt nicht mehr, Stichworte Zölle, Steuerpaket und Sozialpolitik.

2. Ein Aktienmarkt, der durch hohe Dividendenrenditen besticht, während die Alternative am Anleihemarkt nur mickrige Zinsen abwirft und Gold kein Kapital an- und damit vom Aktienmarkt abzieht. Auch da sitzen die Bullen am Aktienmarkt, vor allem an den US-Märkten, derzeit „blank“ da.

Börse aktuell: Rendite US-Staatsanleihen mit 10 Jahren Laufzeit und Dividendenrendite Dow Jones-Aktien von 2021 bis 2025 im Vergleich | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Rendite US-Staatsanleihen mit 10 Jahren Laufzeit und Dividendenrendite Dow Jones-Aktien von 2021 bis 2025 im Vergleich | Quelle: marketmaker pp4

3. Eine positive Verbraucherstimmung. Eine Hausse am Aktienmarkt kann nur stabil sein, wenn nicht nur die Anleger, sondern alle einigermaßen optimistisch sind. Nur dann würde durch ansteigenden Konsum Wachstum entstehen, das steigende Kurse am Aktienmarkt durch sukzessiv steigende Unternehmensgewinne unterfüttert. Doch ob hierzulande oder in den USA (siehe der folgende Chart):

Die Verbraucher sind skeptisch bis negativ gestimmt. Dass es im Mai mit dem einen Verbrauchervertrauens-Index der USA (der des Conference Board, hier im Bild) wieder aufwärts ging, ist noch nicht wegweisend. Erstens, weil wir solche Schwankungen in kritischen Phasen meistens sehen, siehe 2020 während Corona. Zweitens, weil der andere Index, der von der Uni Michigan ermittelt wird, nicht nennenswert stieg. Drittens, weil dort ebenso wie beim Verbrauchervertrauen des Conference Board eine ungewöhnlich hohe Inflationserwartung gemessen wurde. Wer sich auskennt ahnt, dass die zwar zum Vorquartal im Saldo niedrigeren, aber noch einigermaßen robusten US-Unternehmensgewinne im ersten Quartal durch Vorkäufe wegen der Zölle und aus Sorge vor steigenden Preisen zustande kamen.

Börse aktuell: Entwicklung US-Verbrauchervertrauen und Entwicklung Dow Jones von 2001 bis 2025 im Vergleich | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung US-Verbrauchervertrauen und Entwicklung Dow Jones von 2001 bis 2025 im Vergleich | Quelle: marketmaker pp4

Und schließlich 4. Ein marktbreiter Anstieg, der indiziert, dass nicht nur ein paar wenige US-Unternehmen die Hausse stützen, sondern die Breite des Aktienmarkts, weil die Wirtschaft in ihrer Gesamtheit gut dasteht. Für Aktienindizes auf Rekordjagd ist das aber zu wenig, was wir derzeit da sehen. Am deutschen Aktienmarkt notieren derzeit 64 Prozent der Aktien über ihrer 200-Tage-Linie, das ist nicht unbedingt gut, aber auch noch nicht dramatisch wenig. Aber an der US-Börse sind es gerade einmal 51 Prozent, während S&P 500 und Nasdaq 100 bereits in Reichweite der bisherigen Rekorde notieren! Hier fehlt die nötige Marktbreite, was wir auch daran sehen, dass die Zahl neuer 52-Wochen-Hochs an der New York Stock Exchange mit ihren über 2.000 Aktien zum Ende der Vorwoche auffallend niedrig lag. Viel zu wenige Unternehmen tragen die Aufwärtsbewegung.

Börse aktuell: Entwicklung NYSE Composite Index und Anzahl neuer 52-Wochen-Hochs an der NYSE von 2017 bis 2025 im Vergleich | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung NYSE Composite Index und Anzahl neuer 52-Wochen-Hochs an der NYSE von 2017 bis 2025 im Vergleich | Quelle: marketmaker pp4

Der Joker sticht … aber er gehört eigentlich nicht zum Spiel

Aber wenn die Bullen an der Börse aktuell „ohne vier“ spielen, warum geht das dann nicht schief? Am Ende wird es das, nur kann niemand genau abschätzen, wann dieses „am Ende“ sein wird … und bis zu diesem „Tag X“ wird es weiter gutgehen, weil die Bullen ihren Joker in Händen halten: die eigene Unwissenheit

Die führt dazu, dass viele gar nicht ahnen, dass stetes Weiterkaufen mit steigenden, nicht gerade kleinen Risiken verbunden ist. Sie kennen die Regeln des Spiels ja gar nicht und spielen, wie kleine Kinder Skat spielen würden: Indem sie einfach irgendwelche Karten auf den Tisch werfen und schauen, was da dann wohl passiert. Aber warum ziehen ihre Gegenspieler ihnen dann nicht einfach den Teppich unter den Füßen weg?

Weil dieses Spiel nur dann Gegner hat, wenn die anderen Mitspieler Gegner sein wollen. Und solange es nicht zu brenzlig wird darf man sich fragen, warum sie das denn wollen sollten. Schließlich verdient die Finanzbranche an stetig zufließendem Sparergeld und an steigenden Kursen. Und auch die großen Hedgefonds, die der Hausse jederzeit den Saft abdrehen könnten, bekommen ihren Mittelzufluss von meist ganz normalen Anlegern, die möchten, dass es einfach schön nach oben geht.

Der „Tag X“ wird also vermutlich erst dann kommen, wenn große Adressen, die flexibel agieren können, den Eindruck bekommen, dass jetzt etwas massiv abrennt. Dass sich eine Entwicklung abzeichnet, in der die Sparer sowieso nicht mehr so viel Geld wie zuvor an die Börse tragen werden und eine Abwärtsbewegung so sehr von negativen Faktoren im Bereich der Nachrichten begleitet wird, dass Gier, Ignoranz und Hoffnung nicht mehr so schnell und stark zurückkehren werden, um die Kurse sofort wieder nach oben zu ziehen, wie das im April der Fall war.

Man muss gar nicht erst versuchen zu orakeln, was das auslösen könnte und wann. Aber wenn man sich überlegt, dass aktuell am Aktienmarkt eine Belebung im zweiten Halbjahr eingepreist wurde, maßgeblich befördert durch ein Ende der Zoll-Streitigkeiten … und bislang nichts dafür spricht … dass die Verbraucher weiterhin zurückhaltend agieren, China konsequent Gegenwehr leistet und das Zerwürfnis Trump/Musk noch für viele brisante Schlagzielen sorgen dürfte, bliebe als Fazit:  

Dieser „Joker“ ist eine wacklige Sache. Denn er besteht daraus, dass zu viele Anleger nicht wirklich wissen, was sie tun und daher die Risiken nicht sehen. Ob 1929, 2000 oder 2008: Solche Phasen enden normalerweise irgendwann dadurch, dass diese Karte aus dem Spiel fliegt, in das sie eigentlich auch nicht gehört, denn „keine Ahnung“ ist nun einmal keine reguläre Trumpfkarte. Da dann zu viele die eigentlichen Spielregeln nicht kennen, sprich ihnen das Börsenwissen abgeht, endet so etwas immer unschön. Und da wird vorher nicht zum Ausstieg geklingelt, daher:

Long ist weiterhin die trendkonforme und damit grundsätzlich richtige Richtung. Aber agieren Sie unbedingt umso vorsichtiger, je leichtsinniger die anderen werden!

Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!

Ihr

Ronald Gehrt

Über den Autor

Nach dem Abitur 1984 studierte der gebürtige Hamburger an der Universität der Bundeswehr Betriebswirtschaftslehre. Im Anschluss an seine Dienstzeit als Offizier begann seine Zeit als Analyst und Finanzjournalist. Seit 1996 war und ist er als Redakteur, Referent und Kolumnist in zahlreichen Funktionen aktiv, seit 2016 ist er unter anderem Analyst bei LYNX. Gehrt ist ein Allrounder, der in der fundamentalen, d.h. volks- und betriebswirtschaftlichen Analyse ebenso sattelfest agiert wie in den verschiedenen Disziplinen der Technischen Analyse wie Chart- und Markttechnik und Sentinentanalyse.

Analysemethode

Die Analysen von Ronald Gehrt basieren auf einer Kombination fundamentaler Fakten und Daten mit der aktuellen chart- und markttechnischen Situation des/der hier vorgestellten Index/Rohstoffs/Währungspaars/Aktie. Bilanz- und Konjunkturdaten sowie wirtschafts- und finanzpolitische Fakten, Nachrichten und/oder Statements werden als Grundlage zur Beurteilung der charttechnischen und markttechnischen Perspektive des untersuchten Werts analysiert.

Firmendepot für Kapitalgesellschaften

Sie möchten ein Depot für Ihre GmbH, AG oder UG eröffnen und Betriebsvermögen in Wertpapieren anlegen? Informieren Sie sich jetzt über unser Wertpapierdepot für Geschäftskunden: Mehr zum Firmendepot über LYNX