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Während die Bedeutung der Terminbörse für den Aktienmarkt medial noch fast immer auf „ein paar Wetten“ heruntergespielt wird, wissen erfahrene Investoren, wie massiv der Terminmarkt die Trendrichtung und dessen Intensität beeinflusst. Wer das lange genug verfolgt, erkennt wiederkehrende Muster … aber kann man dieses immer gleiche Spiel für sein eigenes Trading nutzen … und wenn ja, wie?
Zu wissen, warum etwas passiert, ist zwar wichtig. Aber damit weiß man noch lange nicht, wie es weitergeht … das sollte man diesem Beitrag voranstellen, denn das ist der Kern der Problematik. Wenngleich man sich dann immer noch besser stellt als jemand, der nicht einmal versteht, wie das „Ist“ zustande kommt oder, gerade, wenn man nicht um die kursbewegende Marktmacht der Terminbörse weiß, dem „Ist“ falsche Gründe zuordnet.
Wer weiß, was da passiert, hat für das eigene Trading nämlich trotzdem ein paar nützliche Informationen bzw. Anregungen. Dazu gleich, zunächst einmal eine nochmal etwas mehr komprimierte Erläuterung dessen, was ich als Options-Grundwissen im Format „super-kompakt“ schon mal Anfang des Jahres an dieser Stelle geschrieben hatte. Wer sich auskennt: Einfach zum nächsten Abschnitt weiterscrollen.
Options-Grundwissen im Format „super-kompakt“ … noch ein wenig komprimierter
Am Optionsmarkt gibt es Calls und Puts. Ein Call verbrieft das Recht, einen Index (da dann als Barausgleich) oder eine Aktie (in echt) zu einem bestimmten Preis kaufen zu dürfen. Und zwar von dem, der einem die Option verkauft hat. Das kann irgendwer sein, ein Privatanleger wie man selbst, ein Hedgefonds, ein Großinvestor. Ein Put hingegen verbrieft das Recht, einen Index oder eine Aktie zu einem bestimmten Preis verkaufen zu dürfen.
Nehmen wir mal an, eine Call-Option hatte den Basispreis 50 US-Dollar, zu der man als Optionskäufer die Aktie X kaufen kann (aber nicht muss, es ist eine Option, keine Pflicht) und lief bis letzten Freitag. Der, der diese Option hat, ist daran interessiert, dass die Aktie X dann weit über 50 US-Dollar steht. So weit, dass er die Aktie zu 50 US-Dollar vom Options-Verkäufer einfordern und sie am Markt dann für mehr verkaufen kann als diese 50 US-Dollar plus die Summe, die er für den Kauf der Option bezahlt hat.
Aber das ist nur eine Seite des Geschäfts. Denn klar ist: Derjenige, der die Call-Option verkauft hat (Optionsverkäufer heißen im Jargon „Stillhalter“), hätte es liebend gerne, wenn die Aktie X am Abrechnungstag unter 50 US-Dollar notiert. Dann wird der Optionskäufer die Aktie nicht einfordern, weil ihm das nichts bringt (zu 50 kaufen, wenn sie bei 45 notiert, wäre halt Unfug). Und kommt es so, hätte er das Geld, das ihm der Käufer für die Call-Option bezahlt hat, als Reingewinn.
Bei Put-Optionen läuft es genau umgekehrt. Hier verkauft der Put-Verkäufer (Stillhalter) dem Käufer das Recht, die Aktie X zu 50 US-Dollar an ihn verkaufen zu können (oder die Aktie X zu 60, die Aktie Y zu 40 usw.). Wenn also jemand eine Put-Option kauft, hofft er, dass die Aktie fällt. Dann kauft er sie nämlich zügig zu z.B. 40 US-Dollar und dient sie dem Put-Verkäufer an, der dann teure 50 US-Dollar auf den Tisch legen muss. Oder man hat sie schon im Depot, dient sie dem Verkäufer zu 50 an und kauft sie sich zu 40 am Markt zurück. Klarer Fall: Der Verkäufer der Put-Option ist im Gegenzug daran interessiert, dass die Aktie X am Abrechnungstag über 50 US-Dollar steht, so dass die Put-Käufer ihm die Aktie nicht andienen, er aber dafür den Preis der zuvor an den Käufer verkauften Option als Reingewinn hat.
„Große“ wollen „Kleine“ auf dem falschen Fuß erwischen … und können es auch durchsetzen
Das klingt alles ziemlich „mickrig“, ist es aber nicht. Denn in den USA ist der Optionsmarkt riesig, bei uns zumindest wichtig. Und die Summen, die dort verdient oder verloren werden können, sind gewaltig, denn neben der Größe dieses Marktes hat die Sache eine Hebelwirkung, da geht es bei solchen Options-Trades ja nicht um eine Aktie, sondern gleich mal um Tausende oder Zigtausende und mehr. Wenn wir von der Dimension reden, die da an einem Abrechnungstag wie letzten Freitag auf dem Spiel steht, sprechen wir insgesamt durchaus von Milliarden.
Und die großen Spieler in diesem Geschäft haben das Werkzeug, um zu erzwingen, dass sie dabei ideal durchkommen: Kapital. Genug Kapital, um die Kurse dorthin zu bewegen, wo man als Options-Inhaber und als Options-Verkäufer den größten Gewinn erzielt. Was bedingt, dass das passiert, womit die Mehrheit der anderen, meist „kleinen“ Akteure nicht gerechnet hat, so dass deren Optionen wertlos verfallen.
Das ist der Grund, wieso Abrechnungen am Terminmarkt sehr oft an einem Extrempunkt der vorherigen Kursspanne stattfinden, wie es der folgende Chart des DAX seit Jahresanfang beispielhaft zeigt. Ausnahme: Wenn es vorher wochenlang lethargisch seitwärts ging, ist das ideale Szenario für die „Großen“, dass die Abrechnung innerhalb der Handelsspane stattfindet, weil die meisten in solchen Situationen auf einen Ausbruch setzen.
Da es hier um gewaltige Summen geht, sind diese großen Akteure oft nicht nur imstande, sondern auch aktiv dabei, eine solche Abrechnung an einem Extrempunkt mit eigenem Kapitaleinsatz zu „fördern“. Was sich meist auch rechnet, denn man darf nicht vergessen, dass sie den DAX ja z.B. jetzt vor der Mai-Abrechnung nicht alleine auf neue Hochs hieven mussten. Da sind dann zahllose Trader, die rein nach den Charts agieren und vor allem die genauso rein technisch orientierten Handelsprogramme mit von der Partie und kaufen in einem solchen, bullischen Szenario. Man hat, wenn man einen Trend intensiviert, also immer „Schützenhilfe“.
Aktien im Bann der Terminbörse: Auch hier werden Trends in den Exzess getrieben
Dieses Spiel beschränkt sich nicht auf die Indizes bzw. die Index-Optionen, auch und gerade bei den Einzelwerten werden die „Kleinen“ überrumpelt und Trends bis zum Exzess ausgereizt. Gerne vor allem in die Richtung, mit der die meisten Optionskäufer zuvor nicht gerechnet hatten. Wer über die technische Ausstattung verfügt, sich eine Übersicht in Form einer RSL-Tabelle zu verschaffen, erkennt das. Nicht nur wie in der folgenden Grafik bezogen auf diese Mai-Abrechnung, sondern eigentlich immer. Je näher ein Abrechnungstermin kommt, desto mehr gilt: Was steigt, steigt weiter … was fällt, fällt weiter … so absurd das bisweilen auch sein mag.
RSL-Tabelle der DAX-Werte, Auszug der per Freitag stärksten und schwächsten 6 Aktien
Aktie | RSL | RSL Vorwoche | Close |
---|---|---|---|
Siemens Energy AG | 1.25613 | 1.30245 | 25.00 |
Commerzbank AG | 1.12123 | 1.03805 | 15.46 |
Vonovia SE | 1.11764 | 1.05471 | 29.73 |
Infineon Technologies AG | 1.10591 | 1.16983 | 37.01 |
Henkel AG & Co. KGaA Vorzugsaktien | 1.1054 | 1.10333 | 83.98 |
Merck KGaA | 1.09061 | 1.01871 | 167.20 |
…. | … | … | … |
Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG Vorzugsaktien | 0.93637 | 0.91027 | 82.40 |
Mercedes-Benz Group AG | 0.93451 | 0.92491 | 68.06 |
Brenntag SE | 0.92663 | 1.02104 | 69.66 |
Daimler Truck Holding AG | 0.91511 | 0.94342 | 39.32 |
Bayerische Motoren Werke AG | 0.90967 | 0.94928 | 96.02 |
Sartorius AG Vorzugsaktien | 0.8951 | 0.89128 | 268.50 |
Kurz erklärt: Der RSL ist nicht mit dem RSI zu verwechseln. Letzterer misst die relative Stärke bei einem Kurs in sich. Der RSL (Relative Stärke nach Levy) wird eingesetzt, um die relative Stärke einzelner Aktien u.a. zueinander abzubilden, d.h. wie stark ist ein Wert im Vergleich zu anderen. Zurück zur Aussage der Grafik:
Da steigt eine Aktie wie Siemens Energy, die bis Ende letzten Jahres ein Top-Verlierer war, noch extremer als zuvor. Und auf einmal fällt eine Aktie wie Daimler Truck (Chart folgt weiter unten), die gerade erst direkt nach der Terminmarkt-Abrechnung im Januar zur Kursrakete wurde, zum zweiten Mal an das untere Ende ihrer Handelsspanne seit der letzten Abrechnung. Das wirkt, als müsse man das doch irgendwie nutzen können?
Richtungswechsel nach der Abrechnung … kann man das vorhersagen?
Wie eingangs betont: Zu wissen, warum etwas Extremes passiert ist, wie der DAX auf immer neuen Hochs, eine haussierende Siemens Energy oder eine auf einmal so schwache Daimler Truck, eine Sache. Daraus ableiten zu wollen, wie es weitergeht, eine andere. Das hat vor allem vier Gründe:
1. Terminmarkt-Positionen großer Player sind immer äußerst komplex. Da werden Index- und Aktienpositionen kombiniert, Gegenpositionen zum Hedging aufgebaut und wieder aufgelöst, die Futures mit einbezogen. Das funktioniert nur über aufwändige Handelsprogramme, die dieses Tohuwabohu im Blick behalten und steuern. Das bedeutet: Da können offensichtliche Positionen, die wir erkennen können, von anderen überlagert sein, die wir nicht sehen, so dass man schwer einschätzen kann, ob eine große Adresse wirklich durchweg bullisch oder bärisch ausgerichtet war. Und vor allem: Ob man auch bullisch oder bärisch bleiben wird.
2. Hinzu kommt ein zweiter, wichtiger Faktor: Auch diese großen Player können mitten zwischen zwei Abrechnungsterminen radikal ihre Ausrichtung von bullisch auf bärisch oder umgekehrt ändern, wenn sich die Gesamtsituation nennenswert verändert. Dass „Hausse“ so sauber durchgezogen wird, wie wir das beim DAX jetzt nach der Abrechnung vom April gesehen haben, nachdem es vorher abwärts ging, kommt vor. Aber es ist keine Regel, auf die man sich verlassen kann.
3. Dann wäre da noch das Problem des „Rollens“. Man kann nie wissen, ob ein großer Spieler seine Positionierung nach einer Abrechnung wirklich neu ausrichtet. Sprich ob der Player sich wirklich auf Basis der dann geltenden, ggf. gegenüber dem Start seiner Positionierung veränderten Lage überlegt, ob er die bisherige Richtung beibehalten oder auf die Gegenseite wechseln will … oder ob die Positionen einfach in die nächste Laufzeit übertragen werden. Was der Fall ist, wenn man auslaufende Long- und Short-Positionierungen einfach durch gleiche Positionen mit der nächsten Laufzeit, also im aktuellen Fall mit Laufzeit Juni, ersetzt. Das nennt man „rollen“.
4. Und dann ist da noch zu guter Letzt das „Publikum“, d.h. diejenigen, denen man seine Calls und Puts verkaufen bzw. sie von ihnen kaufen will. Den großen Reibach macht man ja gerade dann, wenn man imstande ist dafür zu sorgen, dass das Gegenteil dessen passiert, was diese Klientel erwartet. Damit stellt sich den großen Spielern die Frage: Was erwartet die Masse denn an der Börse aktuell? Und hätten wir ein Umfeld, um das Gegenteil zu erreichen, ohne dafür zu viel Kapital aufwenden zu müssen (solche aktiven Aktionen müssen sich ja gegenüber dem zu erwartenden Gewinn bei den Optionen rechnen)?
Brauchbare Situationen, die man beobachten sollte
Angesichts dieser Faktoren wird schon klar: Ganz so einfach ist es nicht, aus solchen Phänomenen um die Terminbörse herum finanziell Honig zu saugen. Aber es ist allemal interessant, ein paar Aspekte im Auge zu behalten. Denn wenn man weiß, welche Fragen sich diese großen Spieler nach einer absolvierten Abrechnung in Bezug auf die kommende stellen, kann man sie sich ebenso stellen und die Antworten womöglich zumindest erahnen. Beispiel:
Angenommen, am Terminmarkt würde man den Eindruck bekommen, die Privatanleger, denen man jetzt Optionen verkaufen will, seien euphorisch ob der neuen Rekorde bei DAX, Dow Jones & Co.: Dann hätte man einen tadellosen Markt, um Call-Optionen zu verkaufen. Da hätte man natürlich das Ziel, dafür zu sorgen, dass diese Massen an verkauften Call-Optionen zur Abrechnung wertlos verfallen.
Würden die großen Adressen hingegen den Eindruck haben, dass sehr viele Privatanleger der Hausse skeptisch gegenüberstehen, also eher mit einer Korrektur oder Schlimmerem rechnen, kriegt man Call-Optionen nicht los, dafür könnte man aber Put-Optionen verkaufen. Und dafür sorgen, dass die dann wertlos auslaufen, indem man versucht, die Hausse weiter zu treiben, damit DAX & Co. zur Juni-Abrechnung dann höher stehen als jetzt.
Ein anderes Beispiel, womit sich etwas anfangen ließe: Wenn Aktien extreme Bewegungen vor einer Terminmarkt-Abrechnung zeigen, ist es dann lohnend, diese in Sachen Richtungswechsel im Auge zu behalten, wenn diese bisherige Bewegung ein absurdes, nicht mehr von den Rahmenbedingungen unterfüttertes Niveau erreicht hat. Dann könnte man mutmaßen, dass auch die großen Spieler nicht versuchen werden, eine überzogene Rallye oder eine überzogene Baisse noch weiter zu treiben, sondern sich auf die Gegenseite begeben.
Aber Vorsicht, ein solches Urteil ist aber immer subjektiv, daher: Solche Aktien … wie die drei hier genannten Aktien als Beispiele von mehreren, zumal man sich da im selben Stil auch an den US-Märkten umtun kann … im Auge zu behalten, ist sicherlich eine gute Idee.
Keine gute Idee wäre es aber, dann sofort nach einer Abrechnung blind auf die Gegenseite zu setzen. Man sollte auf jeden Fall abwarten, ob sich diese Vermutung auch in den Kursen niederschlägt. Kommt es zu entsprechenden charttechnischen Signalen, käme man ja in der Regel nicht zu spät, wenn wir uns mal ansehen, wie massiv diese Bewegungen vor einem Abrechnungstermin dann ausfallen.
Fazit: Als Wegweiser untauglich, als Chancen-Inspiration hoch lukrativ!
So stereotyp die Spielchen des Terminmarkts auch sind: Durchschaubarkeit und die Nutzungsmöglichkeit als Wegweiser sind zwei Paar Schuhe. Aber als „Inspiration“ für mögliches Trading sind sie allemal geeignet … denn man muss ja nicht imstande sein, das, was die großen Akteure am Terminmarkt tun werden, vorherzusehen. Da dann auf der Zielgeraden mit zu schwimmen, ist ebenso eine lukrative und dann weit weniger von der Fähigkeit zum Hellsehen abhängige Möglichkeit!
Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!
Ihr
Ronald Gehrt
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