Hoffnung auf das Verschwinden von negativen Faktoren kann einen Aktienindex wie den DAX Wochen und Monate höher ziehen. Aber Hoffnung braucht Nahrung, allzu viele Rückschläge verdaut eine solche Hausse nicht. Und langsam droht die Hoffnung zu verhungern.
Der „Mini-Crash“ vom 7. April ist gerade einmal gut zwei Monate her. Da waren die Anleger in Panik geraten, weil es so aussah, als würde man im Weißen Haus komplett eskalieren, ohne Rücksicht auf irreparable Schäden in der Weltwirtschaft. Das Glück des bullischen Lagers war, dass man es an eben diesem 7. April übertrieb. Zu viele Akteure warfen zu viele Positionen unlimitiert in einen Markt ohne Kauforders hinein. Das bot die Basis, um in einen Ausverkauf hinein Short-Positionen mit gewaltigem Gewinn einzudecken. Das zog den DAX umgehend wieder nach oben … und mit diesem Schwenk wurde … obgleich er vor allem auf Schnäppchenjägern und Leerverkäufe eindeckende Bären basierte … eine Hoffnungs-Rallye geboren.
Blaupause 2020 … aber inklusive der Risiken
So läuft es ja nicht zum ersten Mal, man muss sich nur an den März 2020 erinnern. Auch damals wuchs die Hoffnung, das alles werde sich schon bald wieder einrenken, je weiter die Kurse stiegen. Die Fakten spielten nur eine Nebenrolle, entscheidend wurde der Anstieg der Kurse an sich, an ihm hielten sich die Käufer fest. Und selbst, wem das klar war, kümmerte es eher wenig, dass der Kursanstieg nur die Hoffnung reflektiere und mitnichten ein Beleg dafür war, dass man das richtige tut. Hauptsache rauf.
Aber wenn wir uns den DAX in dieser Phase im Jahr 2020 ansehen, erkennen wir auch, dass diese Hoffnungskäufe im Sommer versickerten und dann, im Oktober, der nächste Abwärtsschwenk auftauchte, der alles andere als harmlos war. Es ist möglich, dass wir uns gerade an einem ähnlichen Punkt wiederfinden, denn:

Hoffnung wird von vielen in Käufe umgesetzt, aber wie eingangs erwähnt darf die nicht allzu sehr unterminiert werden. Sie braucht im Gegenteil regelmäßig „Futter“, das die Käufer bei der Stange hält und sie weiterkaufen lässt, statt auszusteigen. Damals, im Oktober 2020, konnte die Nachrichtenlage einfach nicht mehr „liefern“. Man ging in neue Lockdowns, die Probleme der Weltwirtschaft wurden immer deutlicher sichtbar und insbesondere in China als wichtigem Wachstumstreiber sah es düster aus. Die Folge:
Mit zunehmender Unruhe nahmen auch die Verkäufe zu. Und der harte Aufprall wurde nur deswegen vermieden, weil neue Argumente, um zu hoffen, gerade noch rechtzeitig und zeitlich ganz nahe beieinander zur Stelle waren: Zum einen war das die Meldung, dass Impfstoffe fertig und in Kürze einsatzbereit sind, zum anderen die Abwahl von Donald Trump, beides Anfang November 2020. Und heute?
Es würde langsam Zeit für positive Fakten …
Heute setzt man seit zwei Monaten darauf, dass sich der Handelskrieg schnell erledigt und die Weltwirtschaft ohne größere Verwerfungen durch überhöhte Zölle und ohne die Rückkehr der Inflation wieder in alte Bahnen zurückkehrt. Das ähnelt also dieser Wette auf ein „alles wird gut“ von 2020 durchaus.
Doch was man dahingehend an „Nahrung“ erhielt, waren große Worte und ein „bald, bald“, keine echten, tragfähigen Lösungen. Was am Mittwoch als großer Fortschritt in Bezug auf die USA/China-Verhandlungen gepriesen wurde, stellte sich jetzt als viel heiße Luft heraus. Wenngleich nichts offiziell schriftlich veröffentlicht werden soll, so weiß man doch immerhin, dass sich die im Mai in der Schweiz angesetzten Zollsätze nicht verändert haben, die chinesischen Lieferungen für Seltene Erden auf sechs Monate befristet sind und die US-Restriktionen im Halbleitersektor bleiben.
Was man indes neu auf den Tisch bekam, waren Drohungen. Dass der US-Präsident ankündigte, den aus seiner Sicht nicht ausreichend bemühten Ländern in Kürze einfach eine Vorgabe zuzusenden, die man dann entweder zu akzeptieren hat oder hohe Zölle hinnehmen muss, ist kein gutes Signal. Dass die Stahl- und Aluminium-Zölle verdoppelt wurden, auch nicht. Und dass Donald Trump jetzt auch über eine erneute Anhebung der Auto-Zölle nachdenkt, ebenso wenig.
Das unterminiert das einzige, auf dem die DAX-Hausse aufgebaut ist: Die Hoffnung, der Spuk werde bald vorbei sein. Wenn man bedenkt, dass nicht gerade wenige Unternehmen bislang davon ausgingen, dass dieses Thema im zweiten Halbjahr vom Tisch kommt und einer wieder anziehenden Nachfrage weicht, ist das Risiko nicht zu unterschätzen, dass in den kommenden Monaten so manche 2025er-Prognose nach unten korrigiert wird.

Dass seit der initialen Rallye nach dem Kurseinbruch bislang weniger Zeit vergangen ist als 2020, bevor es da zu einem erneuten Verkaufsimpuls kam, ist da kein taugliches Argument, um sicher zu sein, dass es wenn, dann nicht vor Herbst eng würde. Denn es kommt immer darauf an, wie sich die Nachrichtenlage entwickelt. Damals wurde es über die Monate nicht schlimmer als Ende März, als man einen „Worst Case“ eingepreist hatte. Heute könnte das anders aussehen.
… stattdessen wird es schlimmer
Eine solche Hoffnungs-Rallye nimmt vorweg, dass alles wieder ins Lot kommt, idealerweise sogar besser wird als zuvor. Was vor allem im aktuellen Fall beim DAX auch so kommen muss, denn er hat ja nach dem „Zoll-Crash“ von Anfang April mittlerweile bereits neue Rekorde markiert. Aber wird es das?
Bis jetzt ist völlig offen, ob die Handelsbeziehungen mit dem so wichtigen Export-Partner USA in Zukunft für deutsche Unternehmen positiv sein werden. Es ist offen, wie sehr der durch neue Regelungen entstehende Druck auf andere Handelspartner die deutsche Wirtschaft schwächt. Es ist ebenso unklar, wie sehr der anstehende, neue Schuldenberg Deutschlands die DAX-Unternehmen befeuert, vorweggenommen hat man da schon ideale Entwicklungen für mehrere Jahre. Und jetzt kommt auch noch der Krisenherd Nahost in den Fokus, den man ja weder vor noch nach Trumps „Zoll-Hammer“ einkalkuliert hatte.

Niemand kann abschätzen, wie weit die Kampfhandlungen zwischen Israel und dem Iran eskalieren, ob der Welthandel z.B. in Bezug auf die Ölversorgung und die Transportwege bzgl. der Straße von Hormus betroffen sein wird (Stand Samstagabend). Aber der Ölpreis ist am Freitag schon einmal markant gestiegen, hat eine wichtige Widerstandszone wieder überboten und befördert damit nicht nur das Thema Geopolitik, sondern auch das Thema Inflation wieder in den Fokus. Momentan bekommt die Hoffnung also keine Nahrung, sondern Tritte in die Kniekehle.
Aber auch das bringt eine Hoffnungs-Hausse nicht automatisch zu Fall. Dazu muss das passieren, was wir 2020 genauso wie 2025 erlebt haben … und zwar in der Phase vor den beiden großen Verkaufswellen.
Jetzt kommt es darauf an, ob der Schneeball ins Rollen kommt oder nicht
Wenn man in einer auf Hoffnungen und letztlich auch auf Leichtsinn aufgebauten Hausse neben der Realität unterwegs ist, hat man als einzige Orientierung in Bezug auf die Frage, ob man weiter kaufen, stillhalten oder aussteigen soll, das Verhalten der Kurse selbst, sprich das der anderen Marktteilnehmer. Das heißt, jeder lauert darauf, was die anderen tun. Erst, wenn die ersten aussteigen und so den Anfang machen, kann das gleiche passieren wie im März/April oder, um wieder die Blaupause zu nehmen, im Februar 2020.
Vergessen wir nicht, dass damals schon Ende Januar erkennbar war, dass da etwas immens Übles auf die Weltwirtschaft zukommt. Trotzdem hatte, damals auf Basis der Erwartung, dass der Handelsdeal Trumps mit China wieder richtig Wachstum für alle bringen werde, erst einmal niemand verkaufen wollen. Erst, als die ersten erkannten, dass da etwas äußerst Großes auf sie zukommt und sich die Schließung von Produktion und Einzelhandel abzeichnete, begann die Lawine.

Viele hatten zwar gehofft und daraufhin gekauft, dass es schon nicht so schlimm werden würde. Aber auch sie hatten durchaus im Hinterkopf, dass man das besser einkalkulieren sollte. Die Hoffnung platzte damals, als aus den Risiken Fakten wurden und aus dem gegenseitigen Belauern der Trader ein klarer Abwärtsimpuls. Die ersten steigen aus, es kamen weitere hinzu, das „Wegkaufen“ der Risiken im Chartbild blieb diesmal aus … und aus dem ersten Schneeball der Verkäufe wurde, mangels derer, die bereit waren, ihn aufzufangen, am Ende eine Lawine. Und im Endeffekt wäre es dann später im Jahr, im Oktober, erneut so gelaufen, wären da nicht im letzten Moment die nötigen „Good News“ gekommen.
Dass es diesmal anders kommt, ist möglich. Aber realistisch betrachtet deutet nichts darauf hin, dass eintritt, worauf so viele setzen, nämlich dass diese aggressive US-Wirtschaftspolitik bald wieder in normale Bahnen zurückkehrt, die auch der europäischen Wirtschaft insgesamt und der deutschen im Besonderen Rückenwind liefert. Hinzu kommt das Thema Geopolitik mit der Erkenntnis, dass der US-Präsident, der ja immer wieder betonte, mit ihm im Amt hätte der Ukraine-Krieg gar nicht erst begonnen, nicht nur in Bezug auf seine Wirtschaftspolitik brisante Schwächen zu haben scheint. Was für die Börsen aktuell kaum weniger gefährlich ist wie der Nahostkonflikt.
Achten Sie daher beim DAX auf Linien, die aus der in den letzten Tagen unübersehbar zunehmenden Nervosität den Schneeball machen, aus dem wiederum eine Lawine werden könnte (ein „Muss“ kann es dabei natürlich nie geben). Derzeit ist es nicht, wie 2020, die 200-Tage-Linie. Die wäre ein „natürlicher“ Trigger für einen größeren Abwärtsimpuls, ist aber, wie wir im Chart der aktuellen Lage des DAX sehen, noch meilenweit entfernt.

Hier hätte momentan die Unterstützungszone 23.275 zu 23.476 Punkte das Zeug, im Fall ihres Bruchs der Schneeball zu werden, der die Basis einer Lawine wird. Wie gesagt: Ob diese Zone fällt, ob das auf emotionaler Ebene zu Angst und ob das wiederum zu mehr Abgabedruck führt, ist nie sicher vorhersehbar. Aber im Licht eines zusehends kritischer wirkenden Gesamtbilds, in dem diejenigen, die Lösungen liefern wollten, eher neue Probleme erzeugen, sollte man jetzt lieber nicht ausschließen, dass die kurstreibende Hoffnung, die den DAX so hoch getragen hat, gerade verhungert.
Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!
Ihr
Ronald Gehrt
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