Diejenigen, die in den vergangenen ein, zwei Wochen am US-Aktienmarkt Long-Positionen eingegangen sind, dürften die Frage, wie solide das Eis ist, auf das man sich damit stellt, weit von sich weisen. Denn natürlich gehen diese Akteure davon aus, damit auf festem Boden zu stehen. Aber von der reinen Logik abgesehen … die an den Börsen ja nicht allzu oft die Trends leitet … gibt es drei Indikationen, die man sich in dieser Hinsicht ansehen sollte.
Donald Trump hat viel versprochen. Zwar behauptete er, vieles davon mal eben im Vorbeigehen „on day one“ klar zu machen, aber natürlich war das nicht zu schaffen. Auch in den gut 100 Tagen, die er jetzt im Amt ist, nicht. Aber man muss letzten Endes daran glauben, dass seine Versprechen zumindest am Ende erfüllt werden, um an der Börse aktuell bullisch zu sein, auch, wenn es dafür bis jetzt keine Anzeichen gibt.
Kaum ist der „Rohstoff-Deal“ mit der Ukraine unterzeichnet, tauchen die Sprüche wieder auf, dass man sich als Friedensvermittler zurückziehen könnte, weil beide Seiten sich keine Mühe gäben und man selber noch anderes zu tun habe. Denn jetzt hätte man Zugriff auf Seltene Erden und diverse andere wichtige Rohstoffe, die man sonst aus China hätte einführen müssen, mit dem man sich massiv angelegt hat. Das Problem:
Man weiß nicht, was genau das Ziel ist
Die US-Regierung scheint bislang gar nicht klar formuliert zu haben, was genau man denn eigentlich von seien Gegnern fordert, um die Zölle zurückzunehmen bzw. sie, sofern für 90 Tage ausgesetzt, nicht wieder zu aktivieren. Noch gibt es keine konkreten Verhandlungen mit den beiden wichtigsten Handelspartnern EU und China. Man bekommt den Eindruck, hier wird mit der Weltwirtschaft als Einsatz gepokert: Mal sehen, was ihr so auf der Hand habt, dann schauen wir, was wir dazu sagen.
Um aktuell bullisch zu sein muss man daran glauben, dass hinter diesem Verhalten ein genialer Plan steht, obgleich man sich den nicht einmal zusammen fantasieren könnte. Und eines ist ja eigentlich klar: Irgendwer wird, wenn das alles mal so etwas wie eine Lösung ergibt, verlieren. Entweder die USA und da vor allem die Konsumenten. Oder die anderen Länder. So gesehen stellt sich die Frage: Wie können die Eurozone-Indizes und die US-Indizes zugleich steigen und wieder Tuchfühlung zu den vorherigen Hochs aufnehmen, wenn man davon ausgehen muss, dass einer der beiden Wirtschaftsräume am Ende der nicht einmal begonnenen Verhandlungen schlechter dasteht als zuvor?
Auch Anleger neigen dazu, sich Dinge schön zu denken, nicht nur Politiker
Ein Argument dafür, dass die Kurse trotzdem steigen ist, dass man gerne glaubt, dass die Sache schon gutgehen wird, weil sie das ja (fast) immer tat, ohne sich eingehender mit dem Problem und den damit einhergehenden Risiken zu beschäftigen. Dass wir nahezu alle zu einem solchen Verhalten neigen, weiß ich nicht nur aus 30 Jahren in diesem Job. Ich bin auch seit 35 Jahren Trader und habe dabei oft genug im Spiegel genau so eine Type gesehen. Und, nicht zuletzt, war ich 40 Jahre lang Raucher. Erzähle mir also keiner etwas davon, dass die Vernunft am Ende immer siegt. Das tut sie nicht. Aber zurück zu dieser derzeitigen Rallye.

Der hier gezeigte S&P 500 hat jetzt etwa zwei Drittel der Abschläge seit seinem Rekordhoch aufgeholt, der DAX ist sogar noch näher dran am alten Hoch. Rein charttechnisch sieht es bislang gut aus. Die Abwärtstrendlinie ist überboten und ein Doppeltief vollendet. Zugleich wurde diese Abwärtstrendlinie gerade erst am Mittwoch erfolgreich getestet, was in einen beeindruckenden Rallyeschub zum Wochenschluss mündete. Vom Tagestief des Mittwochs bei 5.433 Punkten bis zum Wochenschluss bei 5.687 Punkten lief der Index gut 4,6 Prozent … in einer halben Woche. Und das, obwohl da einige eher üble Konjunkturdaten auf den Tisch kamen und unter den Index-Schwergewichten zwar Microsoft und Meta mit ihren Quartalsbilanzen überzeugen konnten, Apple und Amazon aber nicht. Die Frage ist, was die Käufe denn befeuert hat, wenn es die üblichen Faktoren eher nicht sein konnten.
Das Janus-Prinzip: halb Verbraucher, halb Anleger?
Dass die Gespräche mit China begonnen haben? Haben sie ja gar nicht. China hat grundsätzliche Gesprächsbereitschaft verlauten lassen, aber nur unter der Prämisse, dass die USA diese Zölle vorher verschwinden lassen, dann könne man reden. Und selbst mit einer Ratio auf Notstromversorgung käme man zu dem Schluss, dass Donald Trump diese Voraussetzung nicht erfüllen wird. Trotzdem wird das als Hausse-Argument herumgereicht. Und ignoriert, dass bis dahin vernichtend hohe Zölle auf beiden Seiten die Weltwirtschaft in die Knie zwingen. Und das, was den USA da offenbar als Dauerlösung vorschwebt, nämlich Zölle von 50 bis 60 Prozent gegenüber China-Importen, um sicherzustellen, dass man China aus dem US-Markt herausgedrängt bekommt, wäre ohnehin immer noch fatal.
Damit stellt sich mir die Frage, ob wirklich so viele Anleger derzeit in zwei Hälften gespalten sind, indem sie als Verbraucher Rezession und Inflation befürchten, als Anleger aber zugleich wie wild kaufen. Kann das sein? Kann es zwar, aber nicht auf Dauer. Sicher, eigentlich wissen wir alle, dass es gar nicht so schwer ist, verblüffend viele haushohe Warnsignale zu ignorieren. Aber wir wissen auch: Tut man das zu lange, ist man am Ende der Verlierer. Gewinner sind diejenigen, die die Risiken erkennen und berücksichtigen, statt sie zu ignorieren.
Drei Aspekte würde ich im Augenblick als relevant ansehen um zu behaupten, dass die Käufer gerade auf dünnem Eis herumtanzen, statt, wie sie zweifellos selbst glauben, auf solidem Untergrund zu stehen.
Die Rallye wird von den falschen Aktien angeführt
Wenn wir uns ansehen, welche Aktien im Dow Jones seit Jahresbeginn zu den größeren Gewinnern gehören und welche zu den größten Verlierern, fällt auf: Für eine gesunde Hausse in einem Umfeld mit solidem Wachstum und guten Perspektiven müsste es genau anders herum laufen:

Nicht Coca-Cola und McDonald’s müssten vorne sein, sondern die Aktien, die bei gutem Wirtschaftswachstum am stärksten profitieren: Hightech-Titel wie Nvidia und konsumnahe Aktien wie Nike. So, wie sich das Bild aktuell präsentiert, kaufen die Akteure konservative Titel in der Hoffnung „gegessen und getrunken wird immer“, weil sie wissen, dass die normalerweise gut laufenden Titel mangels Wachstumsperspektive derzeit eben nicht erste Wahl sind.
Aber das müssen sie wieder werden, sonst kann sich eine Aufwärtsbewegung nicht längere Zeit halten. Denn die defensiven Unternehmen sehen in einem solchen Umfeld ja keinen Umsatz- und Gewinnboom, sie geraten nur … das hoffen die Trader zumindest … weniger unter Druck als die zyklischen Werte. Das limitiert den Spielraum der Defensiven, also müsste das Wachstum zeitnah zurückkehren, damit die normalerweise Haussen anführenden und jetzt gedrückten Aktien wieder die Führung übernehmen. Aber um die baldige Rückkehr starken Wachstums zu unterstellen, müsste man momentan ein sehr sonniges Gemüt haben.
Der Transport-Index zieht nicht mit. Müsste er aber.
Eine stabile Hausse braucht Wirtschaftswachstum. Wenn die Wirtschaft wächst, legt der Warenverkehr zu. Wenn der Warenverkehr zulegt, geht es den Logistik-Unternehmen, die im Dow Jones Transportation Index gelistet sind, gut. Deswegen sollten Aktien des Transportsektors eine Hausse, wenn nicht anführen, so doch mittragen. Wir sehen aber anhand dieses Charts, der den „normalen“ Dow Jones Industrial Index mit dem Dow Jones Transportation Index seit der US-Wahl vergleicht, dass Letzterer deutlich schlechter gelaufen ist. Ein Warnsignal?

Ohne Frage. Natürlich kommt da die „Entschuldigung“, dass die Logistikunternehmen nur zeitweilig ein bisschen in den Seilen hängen, weil man halt gerade ein wenig wegen der Zölle durchhängt, das aber schnell wieder laufen wird, wenn man sich geeinigt hat. Gut, angenommen, es käme so, was indes eine Behauptung ist, die bislang jeden Beweis schuldig bleibt:
Für die Logistiker wie Fluggesellschaften oder Versanddienstleister würde das, was Donald Trump vorschwebt, trotzdem ungut, weil man ja immens viel, was bislang importiert wird, nicht mehr einführen will. Das drückt den internationalen Frachtverkehr. Ein reines Problem der Logistik-Branche und damit doch kein Warnsignal für den Gesamtmarkt? Eher nicht, denn:
Da Trumps Vorstellung einer „autarken“ US-Wirtschaft all die Vorteile der von den US-Unternehmen ja selbst veranlassten Auslagerung der Fertigung in Billiglohnländer eliminieren würde, wäre der Gedanke, dass man in einem solchen, völlig anderen Umfeld solides Wachstum bei geringer Inflation und steigendem Wohlstand erreichen würde, abwegig. Auch, wenn die Underperformance des Transport-Index momentan „entschuldbar“ wäre: In diesem Licht ist das dann eben trotzdem ein massives Warnsignal. Umso mehr, als diejenigen, die eine Hausse tragen müssten, das offensichtlich genauso sehen:
Aktienmarkt-Hause bei fallendem Verbrauchervertrauen? Das geht selten gut.
Bis 2020 sahen wir eine völlig logische Korrelation zwischen dem US-Verbrauchervertrauen und dem Trend des US-Aktienmarkts. Nur, wenn die Verbraucher optimistisch sind, wird der Konsum als Rückgrat des Wachstums zulegen. Nur bei Wachstum können die Unternehmensgewinne auf Dauer steigen und so eine Hausse tragen. Seit 2020 hat sich das geändert, wie die nachfolgende Abbildung zeigt. Nur, wieso?

Das liegt z.B. daran, dass die großen Unternehmen auf dem Rücken der kleineren immer stärker werden, auch, wenn das Wachstum insgesamt mager ist. Es liegt mit daran, dass diese „Mega-Caps“ fortwährend Aktien zurückkaufen, so dass sich der Gewinn durch weniger Aktien teilt und damit wirkt, als würde er steigen, auch, wenn er es nicht tut. Und es liegt daran, dass diejenigen, die imstande sind, in Aktien zu investieren nicht zu denen gehören, die bei einer sich ausweitenden Schere zwischen Arm und Reich auf der falschen Seite stehen.
Aber diese Schere kann sich nicht endlos ausweiten. Und derzeit haben wir eine Gemengelage, in der die US-Verbraucher … und die hierzulande kaum weniger … immer unruhiger werden, weil sie sehr wohl sehen, dass die US-Regierung ihre Versprechen nicht einlöst, sondern planlos wirkt. Und auch, wenn ein Aktienmarkt eine Zeit lang gegen eine schwache Konjunktur und hohe Zinsen steigen kann … bei zusehends unruhigen, sorgenvollen Anlegern kann eine Hausse nicht auf Dauer bestehen.
Wäre Donald Trump nicht derart vollmundig aufgetreten, sähe die Sache vermutlich anders aus. So aber vergleichen die Verbraucher das, was versprochen wurde mit dem, was in diesen ersten gut 100 Tagen erreicht wurde und sehen … nichts. Außer festgefahrenen Karren ohne Plan, wohin man mit denen eigentlich genau will. Eine Weile kann man sicherlich „janusköpfig“ unterwegs sein, besorgter Verbraucher und bullischer Anleger zugleich sein. Aber auf Dauer funktioniert das nicht. Und damit wird es sofort wieder kritisch, wenn diese laufende Rallye ins Stocken kommt. Es sei denn, Donald Trump „liefert“ jetzt umgehend. Und zwar Ergebnisse statt bösen Überraschungen.
Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!
Ihr
Ronald Gehrt
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