Politische Börsen haben kurze Beine. Eine Behauptung aus dem Fundus der Börsen-Weisheiten, die Kommentatoren immer dann leicht von der Hand geht, wenn die Politik die Börsen beeinflusst. Vor allem natürlich, wenn die Reaktion negativer Art ist. “Das geht schnell vorbei, machen Sie sich keine Sorgen”, heißt es dann. Aber stimmt das überhaupt?

Bestimmt die Politik die Börse?

Wie so oft lautet die einzig sinnvolle Antwort: Das kommt darauf an. Es kommt darauf an, ob es sich um einmalige, kurze Ereignisse handelt, die die Notierungen an Aktienmarkt, Devisenmarkt, bei den Anleihen und Rohstoffen beeinflussen, oder ob es um eine Entwicklung mit nachhaltiger Wirkung geht. Dazu einige Beispiele:

Der 11. September: nur ein kurzer Schock?

Der Terroranschlag des 11. September 2001 hatte zwar eine extreme, dramatische Wirkung auf die Märkte. Aber nichtsdestotrotz war sie scheinbar relativ kurz. Sie sehen in diesem Chart des Dow Jones aus dem Sommer/Herbst 2001:

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Schon Ende Oktober 2001 hatte der Dow Jones wieder das Niveau erreicht, das er vor diesem Anschlag gesehen hatte. Dabei zeigt die Lücke im Chart, dass der Index an diesem Tag nicht handeln konnte, weil die Wall Street in unmittelbarer Nähe des Anschlagsortes lag. Erst ab Montag, den 17. September war wieder Handel möglich. Der Dow Jones sackte dann zwar eine Woche lang heftig durch, aber dann machte man sich daran, diese Verluste wieder aufzuholen. Der Grund:

So entsetzlich dieser Anschlag war, man wurde sich bewusst, dass er die Konjunktur in den USA ebenso wie weltweit nicht beeinflussen wird. Und man war entschlossen, durch das Aufholen der Reaktion ein Zeichen zu setzen, das die Anleger weltweit verstehen: Die USA werden sich nicht unterkriegen lassen. Hier war es also in der Tat so, dass ein in den politischen Bereich hinein reichendes Ereignis “kurze Beine hatte”. Oder etwa nicht?

Diese Entwicklung mündete in den Einmarsch der USA in den Irak Anfang 2003. Genau zu diesem Zeitpunkt endete die drei Jahre währende Baisse, die Anfang 2000 begonnen hatte. Das war nicht nur, aber auch auf diese Entwicklung zurückzuführen, denn man unterstellte, dass der Krieg zum einen eine Belebung der US-Konjunktur nach sich ziehen und zugleich die Terrorgefahr sinken werde. Der 11. September 2001 hatte also, wenn man das größere Bild betrachtet, auch eine Langzeitwirkung. Ein anderes Beispiel:

Das britische EU-Referendum: schnell abgehakt?

Das Referendum der Briten über den Verbleib in der EU Ende Juni 2016. Man war sich aufgrund der Umfragen sicher, dass eine knappe Mehrheit gegen den EU-Austritt stimmen werde. Doch es kam anders. Der Schock war gewaltig. Der hier abgebildete Euro Stoxx 50 als Leitindex der Eurozone brach in zwei Tagen in der Spitze um zwölf Prozent ein.

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Aber erneut hielt diese Reaktion nicht lange vor. Nur sechs Wochen später hatte der Index wieder das Niveau erreicht, das er vor dem überraschenden Ausgang des Referendums gesehen hatte. Also haben politische Börsen doch “kurze Beine”, spielt die Politik keine nachhaltige Rolle für die Märkte? Im Gegenteil:

Die Politik und die Börsen sind permanent und untrennbar miteinander verbunden! Ob und wie nachhaltig eine Reaktion ausfällt, ist dabei aber immer unterschiedlich. Warum?

Weil das davon abhängig ist, ob diese politisch basierten Entwicklungen eine längerfristige Veränderung der Rahmenbedingungen bedeuten und ob die Mehrheit der Marktteilnehmer diese auch zur Kenntnis nehmen wollen.

Letzteres klingt zwar im ersten Moment absurd, aber das erklärt sich am Beispiel des britischen Referendums ebenso wie am gleich folgenden Beispiel. Der durch das Referendum in Gang gesetzte Austritt Großbritanniens aus der EU hat nüchtern betrachtet Konsequenzen, die in ihrer Tragweite damals wie heute nicht klar absehbar sind. Das kann für beide Seiten relativ harmlos ausgehen, kann aber auch zu großen Problemen führen. Das aber bedeutet: Im Zweifel kann man das Ereignis also auch positiv sehen!

Der EU-Austritt hat also mittel- und langfristige Konsequenzen, aber da diese nicht klar eingrenzbar sind, wird der Staffelstab, was die Börsen angeht, wieder an die Marktteilnehmer zurückgegeben. Und da wird es nun interessant: War es wirklich ein Zufall, dass das Tief dieser zunächst immens negativen Reaktion genau dort lag, wo der Euro Stoxx 50 im Februar wieder nach oben gedreht hatte?

Ganz sicher nicht. Das bullische Lager nutzte nur die Chance, die diese Unterstützungslinie bot. Denn natürlich war man dort nicht an einer nachhaltigen Trendwende interessiert und wusste: Wenn die Kurse wieder nach oben drehen, wird das auch die Sorgen und Ängste der Anleger besänftigen. Die wieder anziehenden Notierungen werden suggerieren, dass alles nicht so schlimm ist … und da der mögliche Beweis des Gegenteils längere Zeit ausstehen würde, war das Risiko, das man einging, indem man mit hohem Kapitaleinsatz eine Kaufwelle lostrat, zu vertreten.

Eine Wahl mit Langzeitwirkung: die Trump-Rallye

Genau dasselbe Prinzip finden wir in unserem dritten Beispiel wieder: Die Reaktion der Aktienmärkte nach dem überraschenden Wahlsieg von Donald Trump. Wie schon beim EU-Referendum lagen die Umfragen im Vorfeld daneben. Trump gewann – und die Aktienmärkte haussierten. Im Nachhinein mag das vielen völlig logisch vorgekommen sein. Aber war es das wirklich?

Eigentlich waren sich die Experten im Vorfeld doch einig: Würde Trump gewinnen, wäre das für den US-Aktienmarkt eine mittlere Katastrophe, weil dessen Wirtschaftspläne zwar einen kurzfristig belebenden Effekt haben, mittel- und langfristig aber zum Bumerang werden würden. Doch auf einmal war alles auf den Kopf gestellt:

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Scheinbar zählte jetzt nur noch die kurzfristige Perspektive. Steuersenkungen, Infrastrukturprogramm, Protektionismus … all das entfachte eine Goldgräberstimmung unter den Investoren. Dass es dazu kam, war zunächst wieder die Wirkung einer gezielten “Flucht nach vorne” großer Adressen, nach demselben Prinzip wie nach dem EU-Referendum: Steigen die Kurse, werden die Investoren die Dinge im Zweifel mit einer positiven Brille betrachten. Das funktionierte – aber kurze Beine?

Diese Rallye dauerte, Sie sehen es anhand des Charts des Dow Jones, ganze dreieinhalb Monate an, bevor eine erste Korrektur einsetzte. So lange glaubte man fest daran, dass Trump der US-Wirtschaft und damit dem Aktienmarkt extrem positive Impulse verleihen werde. Und wieder ist es nicht das politische Element an sich, das die Kurse bewegt. Es war nur der Auslöser. Bis zum Beweis des Gegenteils konnte und wollte man, ebenso wie nach dem Referendum in Großbritannien, das Positive der Sache sehen.

Fazit:

Eigentlich spielt die Politik an den Börsen permanent eine Rolle. Ob es nun um unmittelbare Ereignisse oder erwartete Entwicklungen geht, “kurze Beine” hat das Element der Politik nur selten. Und zwar dann, wenn sich herausstellt, dass ein Ereignis die Wirtschaft nicht tangiert. Wie z.B. mehrheitlich erwartete Wahlergebnisse oder auch, so unschön das wirkt, der Terror, weil sie nicht imstande sind, die Grundtendenz der Konjunktur zu beeinflussen.

Oft aber ist es anders. Die Entwicklung in der EU, das Wahlergebnis in den USA, beides sind Beispiele dafür, dass die Politik sich auch sehr nachhaltig und langfristig als Faktor der Börsen erweisen kann. Aber:

Ob es sich indes direkt oder erst mittel- oder sogar langfristig auf die Kurse selbst auswirkt, ist eine Frage der Marktstimmung. Herrscht Optimismus vor, kann man auch problematische Entwicklungen im Zweifel positiv interpretieren, solange noch offen ist, in welche Richtung die Konjunktur sich dadurch bewegt. Eine klar etablierte positive oder negative Tendenz als Reaktion auf politisch basierte Veränderungen wird die Märkte aber immer einholen, weil die Marktstimmung, ob Optimismus oder Pessimismus, immer kurzlebiger und wankelmütiger ist als ein mittelfristiger, politisch beeinflusster Trend bei Wachstum, Fiskalpolitik oder den Zinsen.

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